Wie Lebensmittel den Organismus mitformen – Auswirkungen der Ernährung auf das Epigenom Understand article
Übersetzt von Veronika Ebert. Du bist, was du isst – ganz im wahrsten Sinne des Wortes. Unsere Ernährung kann winzige Veränderungen im Genom verursachen, die zu verschiedenen Erkrankungen, wie z.B. Krebs und Fettleibigkeit führen können.
Wenn du dich in den Spiegel schaust, fragst du sich vielleicht, wie es möglich ist, dass die verschiedenen Organe einander so wenig ähnlich sind, und ganz verschiedene Aufgaben übernehmen, obwohl doch alle Zellen des Körpers über die die gleiche DNA verfügen. Durch neuere Entdeckungen im Bereich der Epigenetik beginnen wir die Ursachen langsam zu verstehen: Wir wissen jetzt, dass die Zellen das genetische Material in unterschiedlicher Art und Weise nutzen: Durch die An- und Abschaltung von Genen entsteht ein erstaunliches Maß an Differenzierung in unserem Körper.
Die Epigenetik beschreibt zelluläre Prozesse, die bestimmen, ob ein bestimmtes Gen transkribiert, und in sein korrespondierendes Protein translatiert wird, oder nicht. Die Information dafür verbirgt sich in kleinen, reversiblen chemischen Veränderungen des Chromatins (Abb.1). So verstärkt zum Beispiel die Anheftung von Acetylgrupppen (Acetylierung) an Proteine, die die DNA verpacken (Histone), die Transkription. Im Gegensatz dazu wird die Transkription durch die Anheftung von Methylgrupppen (Methylierung) an bestimmte regulatorische Bereiche der DNA verringert. Diese Modifikationen sind – gemeinsam mit anderen regulatorischen Mechanismen – besonders wichtig für Entwicklungsprozesse, weil hier das exakte Timing der Genaktivierung für die korrekte zelluläre Differenzierung entscheidend ist. Sie sind aber auch für Erwachsene wichtig.
Epigenetische Modifikationen können als Reaktion auf Reize aus der Umwelt auftreten, ganz besonders auf die Art der Ernährung. Obwohl die Mechanismen, durch die die Ernährung epigenetische Veränderungen verursacht werden, noch nicht vollständig aufgeklärt werden konnten, gibt e doch einige sehr gut dokumentierte Beispiele.
Während des Winters 1944-1945 litten die Niederlande unter der Belagerung der Deutschen an einer schrecklichen Hungersnot, die Energieaufnahme durch die Nahrung sank auf weniger als 1000 Kalorien/Tag. Die Frauen wurden auch in diesen harten Zeiten schwanger und gebaren Kinder, die mittlerweile über sechzig Jahre alt sind. Neuere Untersuchungen zeigen, dass diese Personen, die in der Gebärmutter ihrer Mutter einem Nahrungsmangel ausgesetzt waren, stärker unter chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Herz-/Kreislauferkrankungen und Fettleibigkeit leiden als ihre Geschwister. Die ersten Monate der Schwangerschaft dürften das Krankheitsrisiko am stärksten beeinflusst haben.
Wie kann etwas, das noch vor deiner Geburt passiert ist, dein Leben 60 Jahre später noch beeinflussen? Die Antwort findet sich in den – durch den Nahrungsmangel verursachten – epigenetischen Anpassungen im Fötus.
Obwohl die genauen epigenetischen Veränderungen noch immer nicht geklärt werden konnten, konnte festgestellt werden, dass Gene , die mit dem Insulinmetabolismus in Zusammenhang stehen (z.B. das Gen für den Insulin-artige Wachstumsfaktor II) bei Personen, die im Uterus einem Nahrungsmangel ausgesetzt waren, weniger stark methyliert sind als jene nicht betroffener Geschwister (Heijmans et al., 2008). Das hat gravierende Folgen: Obwohl epigenetische Veränderungen theoretisch reversibel sind, bleiben Veränderungen, die sich während der Entwicklung als nützlich erwiesen haben, nichtsdestotrotz beim Erwachsenen erhalten, auch wenn sie längst nicht mehr nützlich, sondern sogar schädlich sind (Painter et al., 2008). Einige dieser Veränderungen dürften sich sogar über Generationen gehalten haben, und wurden an die Enkelkinder der betroffenen Frauen weiter gegeben (Painter et al., 2008).
Auch bei Honigbienen ist der Einfluss der Ernährung auf die Epigenetik klar erkennbar. Der Unterschied zwischen Arbeiterinnen und der fortpflanzungsfähigen Königin ist nicht genetisch bedingt, sondern nur von ihrer Ernährung im Larvenstadium abhängig (Abb. 2). Larven, die als zukünftige Königinnen vorgesehen sind, werden ausschließlich mit Gelee Royal gefüttert, einem Stoffgemisch, das von Arbeiterinnen sekretiert wird und das genetische Programm so abändert, dass die spätere Biene geschlechtsreif wird.
Ein anderes eindrucksvolles Beispiel ist der Einfluss der Ernährung auf die Epigenetik der Maus während ihrer Entwicklung. Tiere mit einem aktiven Agouti-Gen haben ein gelbes Fell, und eine Neigung zur Fettleibigkeit. Allerdings kann dieses Gen durch DNA-Methylierung abgeschaltet werden. Wenn eine trächtige Agouti-Maus Nahrungszusätze erhält, die die Abspaltung von Methylgruppen bewirken, wie z.B. Folsäure oder Cholin, werden die Agouti-Gene der Nachkommen methyliert, und dadurch inaktiv. Die Nachkommen tragen zwar noch immer das Agouti-Gen, verlieren aber den Agouti-Phänotyp: sie tragen braunes Fell und zeigen keine verstärkte Neigung zur Fettleibigkeit (Abb.3).
Die unzureichende Aufnahme von Folsäure während der Entwicklung wird auch mit Entwicklungsstörungen wie der Spina bifida oder anderen Defekten der Neuralröhre in Verbindung gebracht. Aus diesem Grund wird schwangeren Frauen, oder Frauen, die eine Schwangerschaft planen, häufig empfohlen, Folsäure als Nahrungszusatz zu sich zu nehmen (sehen Hayes et al., 2009).
Welche Effekte hat die Ernährung auf die Epigenetik im Erwachsenenalter? Viele Nahrungsbestandteile können epigenetische Veränderungen beim Menschen hervorrufen. So enthält Brokkoli und andere Kreuzblütler Isothiocyanat, das die Histonadetylierung stimuliert. Andererseits liefert Soja das Isoflavon Genistein, das die DNA-Methylierung in bestimmten Gene verringern dürfte. Die polyphenolische Verbindung Epigallocatechin-3-Gallat, die in grünem Tee enthalten ist, zeigt viele verschiedene biologische Wirkungen, darunter die Hemmung der DNA-Methylierung. Curcumin, eine Verbindung aus der Gelbwurz (Curcuma longa) zeigt vielfältige Auswirkungen auf die Genaktivierung, weil die Substanz nicht nur die DNA-Methylierung verringert, sondern auch die Histon-Acetylierung beeinflusst. Abb. 4 zeigt weitere Beispiele für epigenetisch aktive Moleküle.
Die meisten bisher gewonnenen Daten stammen aus in vitro-Experimenten. Die Reinstoffe wurden auf Zelllinien getestet, und ihre epigenetischen Effekte gemessen. Es bleibt offen, ob der Verzehr der jeweiligen Lebensmittel zu den gleichen messbaren Veränderungen führt wie im Zellkulturmodell (Gerhauser, 2013).
Immerhin zeigen epidemiologische Studien, dass Bevölkerungsgruppen, die große Mengen dieser Lebensmittel konsumieren, weniger anfällig für bestimmte Krankheiten sein dürften (Siddiqui et al., 2007). Zu bedenken ist, dass diese Stoffe nicht nur epigenetische Effekte haben, sondern auch andere biologische Funktionen beeinflussen. Da Lebensmittel viele unterschiedliche Inhaltsstoffe aufweisen, ist es schwierig, einen direkten Zusammenhang zwischen der epigenetischen Aktivität und der Wirkung auf den gesamten Organismus nachzuweisen. Außerdem werden die Lebensmittel in unserem Verdauungstrakt chemisch so stark verändert, dass nicht klar ist, welche Mengen an aktiven Komponenten tatsächlich ihre molekularen Wirkorte erreichen können.
Aufgrund der weitreichenden Wirkungen sind epigenetische Veränderungen auch an vielen anderen Erkrankungen, wie einigen Krebsarten und neurologischen Erkrankungen, beteiligt. Wenn Zellen bösartig werden, d.h. zu Krebszellen werden, können Tumorsuppressorgene, die normalerweise die übermäßige Zellvermehrung eindämmen, durch epigenetische Veränderungen inaktiviert werden (Esteller, 2007). Da diese epigenetischen Veränderungen reversibel sind, herrscht großes Interesse daran, vor allem in Nahrungsmitteln Moleküle zu finden, die diese schädigenden Veränderungen rückgängig machen und dadurch die Ausbildung von Tumoren zu verhindern können.
Wir alle wissen, dass eine obst-und gemüsereiche Ernährung für unser tägliches Leben gesund ist, aber nun wird immer klarer, dass sie sogar noch viel wichtiger sein könnte, weil sie große Bedeutung für unsere langfristige Gesundheit und Lebenserwartung hat.
References
- Esteller M (2007) Epigenetic gene silencing in cancer: the DNA hypermethylome.Human Molecular Genetics 16(1): R50-R59. doi:10.1093/hmg/ddm018
- Gerhauser C (2013) Cancer chemoprevention and nutri-epigenetics: state of the art and future challenges. Topics in Current Chemistry 329: 73-132.doi:10.1007/128_2012_360
- Hayes E, Maul H, Freerksen N (2009) Folsäure: warum Schülerinnen und Schüler wissen sollten, was es mit Folsäure auf sich hat. Science in School 13: 59-64.
- Heijmans BT et al. (2008) Persistent epigenetic differences associated with prenatal exposure to famine in humans. Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA 105: 17046-17049. doi:10.1073/pnas.0806560105
- Painter R et al. (2008) Transgenerational effects of prenatal exposure to the Dutch famine on neonatal adiposity and health in later life. BJOG: An International Journal of Obstetrics & Gynaecology 115: 1243-1249. doi:10.1111/j.1471-0528.2008.01822.x
- Siddiqui IA et al. (2007) Tea beverage in chemoprevention and chemotherapy of prostate cancer. Acta Pharmacol Sinica 28(9): 1392-1408. doi:10.1111/j.1745-7254.2007.00693.x
Resources
- Eine einfache Einführung in die Epigenetik findet sich in:
- McVittie B (2006) Epigenetics. Science in School 2: 62-64.
- Weitere Informationen zu Ernährung und Epigenetik finden sich in:
- Link A et al. (2010) Cancer chemoprevention by dietary polyphenols: Promising role for epigenetics. Biochemical Pharmacology 80(12): 1771- 1792. doi:10.1016/j.bcp.2010.06.036
- Die Learn Genetics webseite.
- Weiterführende Informationen über den Effekt der Hungersnot in den Niederlanden und die Methylierung von Genen, finden sich in:
- Roseboom TJ et al. (2001) Effects of prenatal exposure to the Dutch famine on adult disease in later life: an overview. Molecular and Cellular Endocrinology 185: 93-8. doi:10.1016/S0303-7207(01)00721-3
- Die Webseite der Universität Leiden
- Eine faszinierende und leicht lesbare Erklärung von Forschungsarbeiten über die Epigenetik der Honigbiene findet sich in:
- Chittka A, Chittka L (2010) Epigenetics of royalty. PLOS Biology 8(11): e1000532. doi:10.1371/journal.pbio.1000532
- Da PLOS ist ein frei zugängliches Journal,ist dieser Artikel kostenlos online verfügbar.
- Weitere Informationen zur Epigenetik der Honigbiene.
- Ein leicht lesbarer Überblick über Epigenetik und das Agouti-Gen in Mäusen findet sich in:
- Adams J (2008) Obesity, epigenetics, and gene regulation. Nature Education 1(1).
- Informationen über die Hormonspiegel während der Schwangerschaft und die Auswirkungen auf das Geschlecht des Kindes, finden sich in:
- Notman (2012) Intersex: außerhalb der Norm. Science in School 23: 48-52.
Review
Der Artikel zeigt die Verbindung zwischen der Ernährung während der Schwangerschaft und Veränderungen der Genexpression durch die Mechanismen der Histonacetylierung (Verstärkung der Transkription) und Methylierung (Verringerung der Transkription) auf. Er zeigt an Hand von Beispielen des Menschen, der Maus und der Honigbienen auf, dass der Mangel an bestimmten Nahrungsstoffen die Entwicklung von Merkmalen der Nachkommen bewirken kann. Er beschäftigt sich auch mit dem Einfluss der Ernährung auf die Epigenetik Erwachsener, und listet mehrere Nahrungsmittel auf, von denen bekannt ist, dass sie eine positive Wirkung auf die Gesundheit haben.
Der Artikel eignet sich als Diskussionsgrundlage über die Auswahl gesunder Nahrungsmittel im Vergleich zu Junk Food, und fördert damit das Bewusstein der Schüler/innen für die Konsequenzen ihrer Nahrungsgewohnheiten.
Der Artikel eignet sich für eine Unterrichtseinheit, in der einige Grundlagen der Genexpression wiederholt werden.
Mögliche Fragestellungen:
- Ist die Struktur und Funktion von Histonen?
- Welche Hauptmechanismen sind für die Regulaton der Genexpression verantwortlich?
- Wie beeinflusst der Genotyp die Ausbildung des Phänotyps?
- Wie wird die Genexpression von inneren oder äußeren Umweltbedingungen beeinflusst?
- Diabetes ist ein gutes Beispiel für eine Erkrankung, die mit der Ernährung zusammen hängt. Kannst du die Ursachen für Diabetes nennen?
Monica Menesini, Liceo Scientifico Vallisneri Lucca, Italy