Ein Thermometer, das bis 200 Millionen Grad geht Understand article
Übersetzt von Svantje Braun. Die Temperatur im Inneren eines Fusionsreaktors zu messen ist keine einfache Aufgabe. Finde heraus, wie es gemacht wird, und wie man es im Klassenzimmer nachahmen kann.
Joint European Torus (JET) ist das weltweit größte Fusionsenergie-Experiment. Es ist wegbereitend für neue Methoden, saubere Energie in sehr großen Mengen zu produzieren – nach dem gleichen Prinzip wie auf der Sonne: Die Verschmelzung (Fusion) von leichten Atomen wie Wasserstoff zum schwereren Atom Helium.
Tatsächlich zielen JET (in Großbritannien) und sein im Bau befindlicher größerer Nachfolger ITER im Süden Frankreichs sogar darauf ab, tausendmal effizienter als die Sonne zu arbeiten. Und dass, obwohl hierfür Temperaturen im Inneren des Fusionsreaktors erzeugt werden müssen, die zehnmal so heiß sind wie der Kern der Sonne.
Erstaunlicherweise haben Wissenschaftler und Ingenieure Wege gefunden, Wasserstoff-Brennstoffe auf solch hohe Temperaturen zu erhitzen, und sie gleichzeitig daran zu hindern, das Gefäß in dem sie sich befinden zu schmelzen. Kontrolliert wird dies durch sehr starke Magnetfelder (beschrieben in Rüth, 2012). Grundlegend für solche Experimente sind nicht nur Methoden, die Reaktionen zu beobachten (siehe Dooley, 2012), auch das Messen des Temperaturprofils des Brennstoffes ist essentiell, von seinem glühend heißen Kern bis hinein in die kühleren Randschichten. Auf diese Weise können Forscher eine optimale Umgebung für die Fusionsreaktion erzeugen.
Bei den Temperaturen im Fusionsreaktor nimmt der Wasserstoff-Brennstoff den vierten Aggregatzustand an: Plasma. Die Temperatur von Plasma zu messen, das zehnmal so heiß ist wie die Sonne, ist schon eine Herausforderung – man kann nicht einfach ein normales Thermometer hineinstecken: Es würde binnen Mikrosekunden schmelzen. Das Ganze wird zusätzlich durch die Beschaffenheit von Plasma erschwert. Es besteht aus zwei sehr unterschiedlich geladenen Teilchen: Elektronen, die aus Atomen herausgeschlagen wurden, und schwerere positiv geladenen Ionen, die nach Entfernen eines Elektrons übrig bleiben. Entscheidend für eine erfolgreiche Fusion ist es, heiße Ionen zu erzeugen, die miteinander verschmelzen. Die Elektronen können jedoch ganz anders auf die Heizsysteme reagieren als Ionen, sie können letztlich sogar eine andere Temperatur haben! Die komplizierten Wechselwirkungen zwischen Elektronen und Ionen können den Erfolg eines Fusionsexperiments erheblich beeinflussen.
Plasmaphysiker haben trotz aller Schwierigkeiten mehrere Methoden zur Temperaturbestimmung entwickelt (Abbildung 1). Der Vergleich der Ergebnisse verschiedener Methoden steigert die Verlässlichkeit der Messungen. So können sich die Wissenschaftler sicher sein, dass sie alles unter Kontrolle haben, was an einem der heißesten Orte des Sonnensystems vor sich geht.
Die Temperatur von Elektronen
Ein Looping nach dem anderen: Elektronen-Zyklotron-Emission
Das erste ‘Thermometer` beruht auf dem Effekt, den Magnetfelder auf geladene Teilchen haben. Aufgrund ihrer Ladung sind Elektronen gezwungen sich spiralförmig um die magnetischen Feldlinien herum zu bewegen. Die dabei entstehenden Mikrowellen nennt man Zyklotron-Emission (Abbildung 2). Je höher die Temperatur der Elektronen ist, umso schneller bewegen sie sich, und umso intensiver sind die von ihnen abgestrahlten Mikrowellen.
Anhand der Mikrowellen kann man auch ein Profil der Elektronentemperatur erhalten. Dies liegt am unterschiedlich starken Magnetfeld innerhalb des Behälters: Je stärker das Feld, umso höher ist die Frequenz der Spiralbewegung. Durch Untersuchung von Intensität im Verhältnis zur Frequenz kann man jeder Magnetfeldstärke eine Temperatur zuordnen. In Kombination mit einer „Landkarte“ der räumlichen Verteilung der Magnetfeldstärke, die mithilfe anderer Systeme erstellt wurde, erhält man schließlich ein Profil der Elektronentemperatur.
Achtung, Blitzer! LIDAR
Das zweite Thermometer im JET verwendet ein ähnliches System wie in Geschwindigkeitsüberwachungskameras, um die Geschwindigkeit von Teilchen zu messen. Statt Radiowellen kommt hier allerdings Laserlicht (LIDAR) zum Einsatz. Das Licht des Lasers wird durch die Elektronen gestreut; ein Vorgang, den man Thomson-Streuung nennt. Wenn sich die Elektronen selbst bewegen, wird das gestreute Licht entsprechend des Doppler-Effekts verschoben (Abbildung 3). Besser bekannt sind uns Doppler-Verschiebungen von Schallwellen: Der Schall der uns von fahrenden Autos erreicht, hat einen leicht höheren Ton wenn sie sich auf uns zu, als wenn sie sich von uns weg bewegen. Ähnlich ändert sich die Frequenz (Farbe) des Lichts, wenn es von sich bewegenden Elektronen gestreut wird. Elektronen, die sich auf den Detektor zu bewegen, erhöhen aufgrund der Doppler-Verschiebung die Frequenz des Lichts, während solche, die sich vom Detektor weg bewegen, die Frequenz reduzieren. Je schneller das Elektron unterwegs ist, desto größer ist der Frequenzunterschied.
Die vielen Elektronen im Plasma – einige bewegen sich auf den Detektor zu, andere entfernen sich davon – haben zusammen den Effekt, dass sich das ursprünglich schmale Frequenzband des Lasers verbreitert (Abbildung 1B). Diese Verbreiterung des Frequenzbands ist nun ein Maß für die Geschwindigkeit, also für die Temperatur, der Elektronen.
Ein zweidimensionales Temperaturprofil erhält man durch Kombination von Daten mehrerer Laserstrahlen, die jeweils in verschiedenen Winkeln durch das Plasma gefeuert wurden. Dieses Prinzip wird so ähnlich auch bei der Erstellung von 2D Computertomographie-Bildern aus mehreren individuellen Röntgenstrahlen angewendet.
Die Temperatur von Ionen
Leider ist LIDAR keine effektive Methode, um die Temperatur von Ionen zu bestimmen, denn die Thomson-Streuung beruht auf den induzierten Schwingungen geladener Teilchen. Die schwereren Ionen schwingen weniger stark – sie werden nicht wie die leichteren Elektronen vom Laserlicht hin und her geschubst.
Die größere Masse der Ionen ist außerdem der Grund, dass ihre Zyklotron-Frequenz zu niedrig und somit nicht von Nutzen ist. Die Wellen sind zu lang und erlauben keine präzise Messung. Gleichzeitig überschneiden sie sich mit der natürlichen Absorptionsfrequenz des Plasmas, sie können das Plasma also nicht ungehindert verlassen.
Hinzu kommt, dass die Wasserstoff-Ionen im Plasma quasi unsichtbar werden, denn ihre gesamten Elektronen werden abgestreift. So wird der normale Mechanismus, Strahlung durch das Springen von Elektronen zwischen Orbitalen zu erzeugen, verhindert.
Eine Möglichkeit der Temperaturbestimmung fand sich jedoch dank Verunreinigungen im Plasma. Während sie in großen Mengen unerwünscht sind, können Spuren hier durchaus nützlich sein.
Partnertausch: Der Austausch von Ladung
Eine der häufigsten Verunreinigungen in Plasma ist Kohlenstoff, der bis zum Jahr 2010 die Innenverkleidung des JET bildete. Obwohl die Kohlenstoffkacheln inzwischen durch Beryllium oder Wolfram ersetzt wurden, sind im Plasma noch immer Kohlenstoffspuren vorhanden. Normalerweise ist Kohlenstoff, wie auch Wasserstoff, unsichtbar, doch er kann durch einen Vorgang namens Ladungsaustauch sichtbar gemacht werden. Ein Strahl neutraler Wasserstoffatome wird hierfür mit hoher Geschwindigkeit in das Plasma gefeuert. Wenn diese Atome auf ein Kohlenstoff-Ion treffen, kann es passieren, dass ein Elektron von einem Wasserstoffatom zum Kohlenstoff überspringt, der dann ein scharfes, leicht messbares Spektrum von Strahlen ausstrahlt.
Aufgrund der hohen Temperatur bewegen sich die Kohlenstoffatome sehr schnell in alle möglichen Richtungen, so dass die scharfen Frequenzen des Spektrums ähnlich dem LIDAR Signal gestreut werden (Abbildung 3).
Röntgenaugen: Verunreinigungen durch Wolfram
Eine zweite Methode um die Temperatur von Ionen zu bestimmen beruht auch auf Verunreinigungen, und wurde kürzlich bei JET in Auftrag gegeben: ein neuer Röntgendetektor. Es lässt sich nicht vermeiden, dass Wolfram aus den neuen Kacheln der Reaktorwand herausgeschlagen wird, und so in geringen Mengen das Plasma kontaminiert. Im Gegensatz zu den leichten Atomen, behält das heiße Wolfram etwa die Hälfte seiner 74 Elektronen, sogar in der extremen Hitze im Kern des Plasmas. Es wird daher nicht unsichtbar – im Gegenteil, die verbleibenden Elektronen springen zwischen Elektronenhüllen hin und her und erzeugen dabei Röntgenstrahlen. Die Eigenbewegung der Ionen führt wieder aufgrund des Doppler-Effekts zu einer Verbreiterung des Röntgenspektrums. Dies erlaubt die Berechnung der Temperatur (wie in Abbildung 3).
Die Temperaturprofile dieser vier Systeme sind essentiell, um die Wirksamkeit der im JET verwendeten Heizsysteme zu prüfen. Einige dieser Systeme erhitzen Elektronen, während andere ihre Wirkung auf Ionen ausüben. Die Messungen geben auch entscheidenden Aufschluss darüber, wie sich die Energie im Plasma unter verschiedenen Umständen verhält. Dazu gehört auch, wie Elektronen und Ionen miteinander wechselwirken. Mit diesem Wissen können die Wissenschaftler und Ingenieure des JET das Plasma so beeinflussen, dass die Energie bestmöglich eingesperrt bleibt. So erzeugen und erhalten sie optimale Bedingungen für die Fusionsreaktion.
Eine Demonstration des Doppler-Effekts
Um die Doppler-Verschiebung selbst zu erleben, benötigst du eine kleine batteriebetriebene Geräuschquelle, die einen langen Ton oder viele aufeinanderfolgende Töne gleicher Tonhöhe wiedergeben kann. Ein kleiner Wecker oder ein Mobiltelefon mit einem eintönigen Klingelton oder Alarm eignen sich gut. Weiterhin brauchst du eine lange Socke oder einen Kniestrumpf – je länger, desto besser – und schließlich jede Menge Platz!
Stell dich in die Mitte des Raumes oder Platzes und schalte den Klingelton am Wecker/Mobiltelefon an. Stecke den klingelnden Wecker/Mobiltelefon nun in die Socke und schleudere sie so schnell wie möglich um deinen Kopf herum. Die Leute um dich herum werden den Klingelton in unterschiedliche Tonhöhen hören, je nachdem, ob sich die Geräuschquelle auf sie zu oder von ihnen weg bewegt. Wenn du derjenige bist, der die Socke umher schleudert, wirst du keinen Unterschied hören, da sich die Geräuschquelle weder auf dich zu noch von dir weg bewegt, sondern rechtwinklig zu dir.
Erfahre mehr über EFDA-JET
Das Joint European Torus (JET)w1 Experiment erforscht das Potenzial der Kernfusion als sichere, saubere und praktisch unbegrenzte Energiequelle für zukünftige Generationen. Es kann die Bedingungen (100-200 Millionen °C) im Plasma erzeugen, die für das Verschmelzen von Deuterium- und Tritium-Kernen ausreichend sind, und hat bereits eine Fusionsenergie-Leistung von bis zu 16 MW erzielt. Mehr als 40 Fusionslabore aus Europa arbeiten im Gemeinschaftsprojekt JET zusammen. Der European Fusion Development Agreement (EFDA)-Vetrag ermöglicht die gemeinschaftliche Nutzung des JET: Mehr als 350 Wissenschaftler und Ingenieure aus ganz Europa tragen derzeit zum JET Programm bei.
EFDA-JET ist Mitglied des EIROforumw2, Herausgeber von Science in School.
References
- Dooley P (2012) Ins Licht sehen: Die Beobachtung von Fusionsexperimenten. Science in School 24.
- Rüth C (2012) Harnessing the power of the Sun: fusion reactors. Science in School 22: 42-48.
Web References
- w1 – Erfahre mehr über EFDA-JET.
- w2 – EIROforum ist eine Kollaboration von acht wissenschaftlichen Forschungsorganisationen, die zu den größten Europas gehören. Durch den Austausch von wissenschaftlichen Möglichkeiten und Einrichtungen sowie Expertise unterstützen sie die Wissenschaft in Europa dabei, ihr volles Potential zu erreichen. Science in School ist Teil der Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit des EIROforum.
Resources
- Warrick C (2006) Fusion – ace in the energy pack? Science in School 1: 52-55.
- Eine Einführung in das elektromagnetische Spektrum und wie es in der Astronomie anwendet wird, gibt es im folgenden Artikel:
- Mignone C, Barnes R (2011) More than meets the eye: the electromagnetic spectrum. Science in School 20: 51-59.
Institutions
Review
In diesem Artikel werden vier Methoden beschrieben, die im weltweit größten Fusionsenergie-Experiment eingesetzt werden, um die Temperatur im Inneren des Fusionsreaktors zu bestimmen. Aufgrund der dort herrschenden hohen Temperaturen würde jedes herkömmliche Thermometer sofort schmelzen.
Die vier Methoden beruhen auf grundlegenden Konzepten aus Physik und Chemie, darunter Optik, Elektromagnetismus, Mechanik, Energie und Atomaufbau. Außerdem wird vorgestellt, wie man den Doppler-Effekt im Klassenzimmer „mit eigenen Ohren” erleben, und so einige der vier Methoden zum Teil nachvollziehen kann.
Die Science in School Reihe von Artikeln zum Thema Fusion (siehe die Liste der weiterführenden Materialien), zu der auch dieser hier gehört, ist eine sehr gute interdisziplinäre Grundlage für Diskussionen zum Thema Fusionsenergie für Schüler in der gymnasialen Oberstufe: die Fusionsenergie als zukünftige Quelle nachhaltiger Energien, wie sie funktioniert, sowie ihre Vor- und Nachteile.
Mariana Martinho, Portugal