Ins Licht sehen: Die Beobachtung von Fusionsexperimenten Understand article
Übersetzt von Julia Heymann. Zu erfahren, was im Kern eines hundert Millionen Grad heißen Fusionsexperiments vor sich geht, ist keine leichte Aufgabe - doch es gibt clevere Methoden, es herauszufinden.
Der Joint European Torus, JET, vor den Toren des englischen Oxford, ist das größte Kernfusionsexperiment der Welt. Wie in einem früheren Artikel berichtet (Rüth, 2012), entwickeln unsere Wissenschaftler hier eine saubere Energiequelle für die Zukunft, und zwar durch die Fusion leichter Atome in einem Donut-förmigen Reaktor von beinahe sechs Metern Durchmesser.
Wir betreiben hier keine Kernspaltung und haben auch nichts mit Uran zu tun – wir fusionieren die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium zu dem schwereren Element Helium. Man braucht eine Menge Energie, um die Atome zum Verschmelzen zu bringen, der Fusionsprozess selbst setzt dann allerdings noch viel mehr Energie frei.
Im Innern des Experiments wird der Brennstoff (normalerweise pures Deuterium, das Gemisch mit radioaktivem Tritium wird nur manchmal verwendet) erhitzt, bis die Elektronen sich von ihren Atomkernen lösen. Dieses ionisierte Gas nennt man Plasma, und es ist die ideale Umgebung für die Kollision der Kerne, die zur Fusion bestimmt sind. Das Plasma ist zehnmal heißer als der Kern der Sonne und rast im Reaktor herum. Dabei dreht und windet es sich durch einen komplexen magnetischen Käfig, der von den Forschern entworfen wird, die die Maschine kontrollieren.
Solch heiße Materie herzustellen ist eine reife Leistung, doch die noch größere Herausforderung ist es, sie lange genug zusammenzuhalten, damit eine aussagekräftige Anzahl von Fusionsreaktionen stattfinden kann – sowohl wegen des turbulenten Charakters von derart heißem Plasma, als auch wegen seiner Tendenz, Verunreinigungen von den Bauteilen des Reaktors aufzunehmen. Daher wurden ausgeklügelte Kontrollmechanismen entwickelt, um jede Eigenschaft des Plasmas während des Ablaufs zu überwachen, wenn möglich Anpassungen vorzunehmen, um es sauber und stabil zu halten, oder abzubrechen, wenn es zu turbulent wird (siehe EIROforum, 2012).
Doch woher wissen wir, was in solch einem abgeschlossenen Behälter bei hundert Millionen Grad Celsius passiert? Jedes Messgerät würde beim Versuch, es in das Plasma zu halten, zerstört werden – zu Plasma verdampft in Sekunden. Selbst die Beobachtung des Experiments durch die versiegelten Fenster des Reaktors ist weniger aufschlussreich, als man erwarten würde, da das heiße Plasma ist so gut wie transparent ist. Denn es ist nämlich im Innern des Plasmas so heiß, dass alle Elektronen von ihren Atomkernen getrennt wurden und keine Elektronentransfers – die Quelle des sichtbaren Lichts – mehr möglich sind.
Trotzdem gibt es viele andere Möglichkeiten herauszufinden, was sich im Plasma abspielt. Unser Verständnis dieses Durcheinanders an Partikeln mit Hochgeschwindigkeit stammt von ungefähr einhundert Diagnose-Komponenten: Kameras, Sensoren, Detektoren, Laser, Ionenstrahlen und Spulen, um nur ein paar zu nennen. Einige dieser Systeme werden wir in diesem Artikel vorstellen.
Wir haben eine Fusion! Gammastrahlendetektion
Als Hauptprodukt einer Fusionsreaktion entstehen schnelle Neutronen. Wir messen nicht nur die Zahl dieser Neutronen, wir vergleichen auch die Anzahl der Fusionsreaktionen immer mit einer zweiten Messgröße: der Menge an Gammastrahlen.
Zusätzlich zur Hauptreaktion zwischen Deuterium und Tritium laufen während der Fusion viele andere Reaktionen in kleinem Maßstab in dem heißen Plasma ab; und manche davon hinterlassen die Atomkerne selbst in angeregten Energiezuständen. Genau wie bei angeregten Elektronen setzen diese Kerne dann ihre Energie in Form von elektromagnetischer Strahlung frei. Da die Anregungszustände von Kernen besonders viel Energie beinhalten, wird Gammastrahlung freigesetzt, anstatt dem sichtbaren oder ultravioletten Licht, das von Elektronen emittiert wird.
Gammastrahlung geht durch die meisten Kameras geradewegs hindurch, deshalb braucht man ein spezielles Detektionssystem. Das Experiment ist von zwei Meter dicken Betonwänden umgeben, um die Strahlung abzuschirmen, aber ein langes Rohr leitet einen Teil von ihr durch diese Wände zum Detektionslabor. Hier wenden wir ein ähnliches Verfahren an wie bei einem Geigerzähler: Es wird Strom erzeugt, wenn Gammastrahlen durch eine kleine Kammer hindurchtreten und das Gas darin ionisieren. Wir messen die elektrischen Impulse zweier Anlagen –einer mit vertikalem Blick auf die Kammer und einer mit horizontalem – und diese zeigen an, wie viele Fusionsreaktionen an welcher Stelle in der Kammer stattgefunden haben.
Messung des Energieverlusts mittels Bolometrie
Mit das Wichtigste für ein erfolgreiches Fusionsexperiment ist die Abschirmung: man muss verhindern, dass Energie aus dem Plasma entweicht. Selbst wenn wir es schaffen, die Partikel zusammen zu halten, können erhebliche Mengen an Energie in Form elektromagnetischer Strahlung austreten. Auch wenn es durchsichtig erscheint, gibt das Plasma eine Menge Strahlung ab, die wir nicht sehen können. Um diesen Energieverlust zu messen, brauchen wir ein Gerät, das im Gegensatz zu unseren Augen Strahlung aller Wellenlängen erfasst. Wir verwenden ein Bolometer, was überraschend einfach aufgebaut ist – nur ein winziger Streifen Metall. Elektromagnetische Strahlung aller Art – zum Beispiel Radiowellen, UV-Strahlung oder Gammastrahlung – erhitzt das Metall und verändert seinen Widerstand, der wiederum leicht gemessen werden kann.
Einer der Hauptgründe der Strahlung sind die Verunreinigungen im Plasma, die meist von der Wand des Reaktors her stammen. Es ist wichtig, herauszufinden, wo sie landen – am Rand des Plasmas stellt kein großes Problem dar, aber Verunreinigungen, die im heißen Kern enden, verringern dann die Energie an der wichtigsten Stelle.
Ein einfaches Bolometer kann nicht zwischen Strahlung aus dem Kern oder vom Rand unterscheiden, aber mit mehreren ist es möglich, eine detaillierte dreidimensionale Karte der Strahlungsquellen zu erstellen. Das erreicht man durch die Anordnung der Bolometer hinter mehreren Lochblenden und damit der Einengung ihrer Sichtfelder. So werden die Ergebnisse der verschiedenen Blickwinkel – manche durch die Mitte, manche nur ganz leicht den äußersten Rand berührend – durch clevere Auswertung kombiniert und es entsteht ein 3D-Abbild. Diese Konstruktion eines 3D-Bildes aus vielen einzelnen Messungen ähnelt der Methode, die für medizinische Computertomographie (CT)-Scans eingesetzt wird. Dabei wird ein dreidimensionales Bild aus vielen einzelnen Röntgenbildern zusammengesetzt, die aus verschiedenen Richtungen aufgenommen werden.
Nach Hotspots Ausschau halten mit Hilfe von Kameras
Es scheint unglaublich, dass Plasma von mehreren hundert Millionen Grad in einem Metallbehälter aufbewahrt werden kann. Dennoch schaffen es die riesigen magnetischen Felder, die durch die Spulen um den JET erzeugt werden meistens, das Plasma von den Reaktorwänden fernzuhalten. Diese wurden vor kurzem neu mit Berylliumplatten verkleidet, die eine Schmelztemperatur von 1278 °C haben. Besonders wichtig an diesem Aufbau ist eine Anordnung von mehreren Videokameras, die sicherstellen, dass das Plasma der Reaktorwand nicht zu nahe kommt.
Dass das Plasma zu nah herangekommen ist, erkennt man an einem heißen Fleck (Hotspot) an der Wand, der etwas abgibt, was sich Schwarzkörperstrahlung nennt. Für das menschliche Auge würde ein Hotspot bei ungefähr 500 °C rot zu glühen anfangen und bei um die 1000 °C orange werden. Doch er kann schon viel früher detektiert werden, denn ein Hotspot emittiert Infrarotstrahlung, sobald er wärmer als seine Umgebung wird.
Weil die meisten Kameras Infrarotstrahlung detektieren können (oft in einer Einstellung namens Nachtsicht-Modus), wurde ein Sicherungssystem entwickelt, das Kameras zur Überwachung von Infrarot-Hotspots nutzt. Wenn einer anfängt, sich zu entwickeln, kann das Plasma justiert werden bevor Schaden entsteht – zum Beispiel indem das Magnetfeld von der Wand weg bewegt wird oder indem die Energie und damit auch die Temperatur verringert wird.
Arbeitsaufgabe: Infrarotlicht sichtbar machen
Die meisten Kameras nehmen Licht im Infrarotbereich wahr – sogar die in Mobiltelefonen. Richte die Fernbedienung eines Fernsehers auf eine Kamera, und Du kannst das Infrarotlicht seinen spezifischen Code an den Fernseher senden sehen.
Zeige als nächstes, dass die Wellenlänge elektromagnetischer Strahlung bestimmt, wie gut sie durch ein Material dringen kann –der Grund dafür, dass wir verschiedene Detektorarten für die Überwachung verschiedener Strahlungsarten brauchen, die vom Reaktor abgegeben werden. Richte ein Taschenlampe auf ein Glas Cola: Das sichtbare Licht wird von dem Getränk absorbiert, das dann immer noch braun aussieht. Dann richte die Fernbedienung auf die Cola, während du sie durch die Kamera beobachtest: das Infrarotlicht durchquert die Flüssigkeit fast unverändert.
Mehr über EFDA-JET
Der Joint European Torus (JET)w1 wird als Joint Venture gemeinsam von über 40 europäischen Fusionslaboren genutzt. Das European Fusion Development Agreement (EFDA) stellt die Plattform für die Nutzung des JET, und mehr als 350 Wissenschaftler und Ingenieure aus ganz Europa tragen momentan zum JET-Programm bei.
EFDA-JET ist Mitglied des EIROforumw2 ,dem Herausgeber von Science in School.
References
- EIROforum (2012) Bigger, faster, hotter. Science in School 24: 2-5.
- Rüth C (2012) Harnessing the power of the Sun: fusion reactors. Science in School 22: 42-48.
Web References
- w1 – Mehr Informationen gibt es auf der EFDA-JET Website.
- w2 – EIROforum ist eine Kollaboration zwischen acht der größten europäischen internationalen Forschungsorganisationen, die Mittel, Ausstattung und Expertise vereinen um die europäische Forschung dabei zu unterstützen, ihr volles Potential auszuschöpfen. Als Beitrag zu Ausbildung und Vernetzung publiziert EIROforum Science in School.
Resources
- Warrick C (2006) Fusion – ace in the energy pack? Science in School 1: 52-55.
- Für ein Einführung zum elektromagnetischen Spektrum und wie es in der Astronomie verwendet wird, siehe:
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Mignone C, Barnes R (2011) More than meets the eye: the electromagnetic spectrum. Science in School 20: 51-59.
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Institutions
Review
Aufbauend auf einem bereits erschienenen Artikel (Rüth, 2012), zeichnet dieser nun ein klares Bild eines Teils der Detektorenvielfalt der Kernfusionsforschung. Lehrer können diesen Artikel als Informationsquelle über die Beobachtung von Fusionsexperimenten verwenden und aufzeigen, welchen Schwierigkeiten und Herausforderungen man ausgesetzt ist, wenn man mit solch hohen Temperaturen zu tun hat.Mögliche Verständnisfragen:
- Warum wird eine große Menge an Energie zur Fusion benötigt?
- Aus welchem Material müssen die Wände der Kammer bestehen und warum?
- Welche Geräte werden verwendet um zu beobachten, was im Inneren des Plasmas passiert?
- Wie wird das Plasma innerhalb der Reaktorwände eingeschlossen und auf sicherem Abstand zu ihnen gehalten?
- Wie kann man Energieverluste feststellen?
Die Diskussion mit den Schülern könnte weiter geführt werden über Themen wie etwa Einflüsse auf die Umwelt, Nachhaltigkeit und die Bedeutung solcher Experimente.
Catherine Cutajar, Malta