Gemeinsam an einem Strang ziehen: ein kollaborativer Forschungsansatz zur Untersuchung von COVID-19 Understand article

Wie haben Wissenschaftler während der Pandemie daran gearbeitet, COVID-19 zu bekämpfen? Dieses Interview von European XFEL gibt einige interessante Einblicke.

Auf der ganzen Welt mobilisieren Forschungseinrichtungen schnell Ressourcen, gestalten Forschungsprogramme neu, bauen Kooperationen auf und intensivieren ihre Zeit und Energie in die globalen Forschungsbemühungen, um das neuartige Coronavirus, SARS-CoV-2, besser zu verstehen. Obwohl sich European XFEL in den letzten Monaten nur im heruntergefahrenen Betriebsmodus befunden hat, haben die Wissenschaftler in der Einrichtung dennoch hart gearbeitet, um mehrere COVID-19-bezogene Forschungsprojekte zum Laufen zu bringen. Derzeit ist European XFEL an drei Projekten beteiligt, von Grundlagenforschung bis hin zur Anwendungsorientierung, alle mit Sitz in den biologischen Laboratorien. Kristina Lorenzen, Leiterin der Biolabore bei European XFEL, erklärt, was sich dort abspielt.

Kristina Lorenzen, Leiterin der Biolabore bei European XFEL
European XFEL/Axel Heimken

Wie kamen Sie dazu, sich in diesen Projekten zu engagieren?

Zusammen mit verschiedenen Kollegen haben wir zu Beginn des Jahres darüber diskutiert, wie wir zu den Forschungsbemühungen im Bereich Corona beitragen können. Wir haben diese wunderbaren Laboreinrichtungen hier am European XFEL, also sollten wir sie natürlich auch nutzen. Der erste Schritt war jedoch erst einmal, ein Sicherheitskonzept zu erarbeiten, wie wir in den Laboren arbeiten können und dabei gleichzeitig die Hygiene- und Abstandsvorschriften einhalten. Die Sicherheit unserer Mitarbeiter hat für uns oberste Priorität. Im Anschluss haben wir ein Konzept für die COVID-19-bezogene Forschung entwickelt, und schließlich haben wir drei Projekte in die Wege geleitet.

Können Sie uns mehr über diese Projekte erzählen?

Die Zusammenarbeit mit unseren Kollegen auf dem DESY-Campus ist wohl am einfachsten zu verstehen. Ziel des Projekts ist es, ein potenziell geeignetes antivirales Medikament zu identifizieren. Gemeinsam mit mehreren anderen Forschern schauen sie sich vier verschiedene Proteine an – zwei aus dem SARS-CoV-2-Virus und zwei aus menschlichen Zellen. Geplant ist die Überprüfung, wie diese Proteine an eine Reihe von verschiedenen Wirkstoffverbindungen binden. Bislang haben sie das Screening für das erste Protein durchgeführt und analysieren nun die Daten. Das zweite virale Protein scheint sich nicht so gut zu verhalten wie das erste und es erweist sich als viel schwieriger, es herzustellen. Drei verschiedene Gruppen, darunter auch wir, arbeiten aktuell an verschiedenen Techniken, um dieses Protein im Labor herzustellen.

Wie verlief das Screening des ersten viralen Proteins?

Das war ein riesiger und beeindruckender Aufwand, auch ohne die aktuellen Einschränkungen. Sie produzierten eine Menge Proteinkristalle – etwa 10 000 winzige Kristalle -, die alle von Hand mit winzigen Schlingen aus ihren Schalen gefischt werden mussten, nachdem sie in einer Lösung mit den Verbindungen getränkt worden waren. Unsere Mitarbeiter arbeiteten in Schichten, um die Kristalle herauszufischen. Das ist harte Arbeit! Die Kristalle wurden dann in die PETRA III-Strahlführungen, den so genannten Beamlines, bei DESY eingebracht und es wurden Röntgenbeugungsbilder der Proteinstrukturen angefertigt. Nicht alle Kristalle diffraktieren. Am Ende hatten sie jedoch Daten von etwa 3600 Kristallen. In etwa 17 davon konnten. Wirkstoffziel bindet.

Ich habe native Massenspektrometrie-Experimente mit dem Protein allein und in Kombination mit den 17 Verbindungen durchgeführt. Massenspektrometrie kann man sich als sehr präzise Waage vorstellen, mit der man die Masse von Proteinen messen kann und zudem feststellen kann, ob und wie gut etwas an sie bindet. Zwei dieser 17 Verbindungen haben sehr fest an das Protein gebunden, bei einigen anderen waren die Verbindungen eher schwach.

Das Fischen von Proteinkristallen: Probenvorbereitung am kooperativen Forschungszentrum Centre for Structural System Biology (CSSB).
DESY / Marta Mayer

Bedeutet das, dass diese beiden Verbindungen nun zu antiviralen Medikamenten gegen SARS-CoV-2 entwickelt werden können?

Nicht ganz. Natürlich wäre es toll, wenn es so wäre, und wir hoffen, etwas zu finden, aber ein Treffer bedeutet nicht, dass wir ein nützliches Medikament haben. Alle Verbindungen sind zugelassene Medikamente, oder zumindest in der Endphase von klinischen Studien. Allerdings haben einige schlimme Nebenwirkungen oder müssen, um tatsächlich eine Wirkung zu erzielen, womöglich in so hohen Konzentrationen verabreicht werden, dass es nicht mehr sicher wäre, sie einem Menschen zu geben. Daher führen mehrere Partner jetzt Folgeuntersuchungen durch – zum Beispiel führen Kollegen am Bernard-Nocht-Institut in Hamburg Tests in Zellen durch, wie sich diese Medikamente auf das Verhalten des Virus auswirken und welche Konzentrationen nötig sind, damit sie wirksam sind. Und auch die anderen Verbindungen, die nur schwache Bindungen eingegangen sind, könnten eine Wirkung haben. Sie könnten zum Beispiel das Protein daran hindern, an anderer Stelle zu binden, oder dafür sorgen, dass es nicht so reaktiv ist. So weit sind wir noch nicht!

Was ist mit den beiden anderen Projekten, an denen European XFEL beteiligt ist?

Die beiden anderen Projekte sind eher im Bereich der Grundlagenforschung angesiedelt. Gemeinsam mit Kollegen am Heinrich-Pette-Institut untersuchen wir sogenannte Nicht-Strukturproteine im Coronavirus. Sie haben natürlich eine Struktur, aber sie tragen nicht zur Struktur des Viruspartikels bei. Die, an denen wir interessiert sind, sind an der Übersetzung des genetischen Codes der viralen RNA beteiligt. Es ist bekannt, dass ein Komplex aus drei Nicht-Strukturproteinen die RNA in Proteine übersetzt, aber wir denken, dass die strukturelle Organisation dieser Proteine anders ist als das, was bisher in den wissenschaftlichen Arbeiten veröffentlicht wurde. Wir arbeiten daran, zwei dieser drei Proteine zu exprimieren, indem wir das Enzym (eine Protease) verwenden, das auch das Virus verwendet, um die Aminosäurekette in funktionelle Abschnitte zu spalten, um die Proteine zusammenzusetzen. Wir versuchen sicherzustellen, dass unser Versuchsaufbau der viralen Umgebung so weit wie möglich ähnelt, damit wir sicher sein können, dass die Daten, die wir erhalten, das widerspiegeln, was im Virus tatsächlich passieren würde. Wenn es uns gelingt, bald Proteine zu erhalten, werden wir die Kristalle wahrscheinlich zu DESY schicken, um sie zu messen und zu sehen, ob wir die Struktur dieses Komplexes identifizieren können.

Das dritte Projekt ist ein längerfristiges Projekt, bei dem es um die Expression von viralen Proteinen in Insektenzellen geht. Hierfür arbeiten wir mit Lars Redecke und seiner Gruppe an der Universität Lübeck zusammen, mit denen wir bereits in der Vergangenheit zusammengearbeitet haben. Wie schon beim ersten Projekt erwähnt, ist es nicht immer einfach, gute Proben der Proteine herzustellen, die wir untersuchen wollen. Insektenzellen sind eine interessante alternative Methode, wenn es schwierig ist, ein Protein zum Kristallisieren zu bringen.

Danksagung

Dieser Artikel ist eine angepasste Version des Originalartikels, der auf Eu-XFEL Newsveröffentlicht wurde.


Resources

Institutions

License

CC-BY

Download

Download this article as a PDF