Vom Gaming zu wegbereitender Biologie: KI und das Proteinfaltungsproblem
KI-Systeme wurden entwickelt, um Menschen in Spielen zu besiegen. Wie können sie helfen die Geheimnisse von Proteinfunktionen zu…
Wissenschaftler nutzen intensive Röntgenpulse aus dem Europäischen XFEL um Schnappschüsse von explodierenden Molekülen zu machen. Das kann Details darüber preisgeben, wie Moleküle aufgebaut sind und wie sie mit Licht interagieren.
Ein Foto machen, indem man das Objekt von Interesse explodieren lässt? Ein internationales Team am Europäischen XFEL nutzt diese extreme Methode, um Bilder von komplexen Molekülen zu machen. Der Europäische XFEL ist der weltgrößte Röntgen-Freie-Elektronen-Laser (X-ray free-electron laser, XFEL), welcher qualitativ hohe Röntgenstrahlung für wissenschaftliche Forschung erzeugt. Bei einem Experiment nutzten die Wissenschaftler die ultrahellen Röntgenblitze um Schnappschüsse von Iodopyridinmolekülen in der Gasphase zu machen.[1] Der Röntgenlaser brachte die Moleküle zum Explodieren und die Wissenschafter konnten aus den dadurch entstandenen Daten ein Bild mit atomarer Auflösung rekonstruieren.
Diese Methode, Moleküle zum Explodieren zu bringen, ist besonders nützlich, um Moleküle mit kovalenten Bindungen zu untersuchen. Chemiker sprechen oft von drei Arten chemischer Bindungen: Ionisch, kovalent und metallisch. Kovalente Bindungen treten in Molekülen auf, die aus mehreren Atomen bestehen. Diese Moleküle haben bestimmte Strukturen und Eigenschaften und können in mehreren Aggregatzuständen auftreten. Zum Beispiel kann H2O als festes Eis, flüssiges Wasser oder gasförmiger Dampf existieren. Seine atomaren Bestandteile können nicht durch physikalische Prozesse, sondern nur durch chemische Reaktion getrennt werden.
Bei kovalenten Bindungen werden Elektronen von zwei Atomkernen geteilt. Beide Kerne ziehen dieselben Elektronen gleichzeitig an, wodurch die Atome zueinander gezogen werden, und eine kovalente Bindung entsteht. Je mehr Elektronen involviert sind, desto stärker ist die Bindung. Im Klassenzimmer modellieren wir Atome oft mit Kugeln und Stöcken, aber in Wirklichkeit sind sie dynamischer und können rotieren und vibrieren. Wenn sie mit elektromagnetischer Strahlung wie Licht oder Röntgenstrahlung wechselwirken, können sich die Energieniveaus der Elektronen in einem Molekül ändern. Chemiker und Physiker untersuchen diese Merkmale, um mehr über Moleküle und ihre Eigenschaften zu lernen.
Molekularphysiker untersuchen Moleküle und ihre Bewegungen (auch Dynamik genannt). Sie interessieren sich für die Struktur von Molekülen und dafür, wie diese mit elektromagnetischer Strahlung, wie Röntgenstrahlen, interagieren. Eine Methode, die sie dafür nutzen, heißt Coulomb-Explosion. Um diese zu verstehen, müssen wir das Coulombsche Gesetz kennen. Denk daran, dass gleiche Ladungen sich abstoßen und unterschiedliche Ladungen sich anziehen. Das Coulombsche Gesetz besagt, dass die anziehende oder abstoßende elektromagnetische Kraft sowohl von der Stärke der Ladungen als auch dem Abstand zwischen ihnen abhängt.
Das Coulombsche Gesetz wird genutzt, um die Kraft zwischen elektrisch geladenen Teilchen wie Atomkernen und Elektronen zu berechnen. Innerhalb eines Molekül bewegen sich die schweren Atomkerne weniger als die leichteren Elektronen. Diese Bewegungen führen dazu, dass Moleküle rotieren und vibrieren. Molekularphysikalische Experimente untersuchen sowohl die Form, Größe und Energieniveaus von Molekülen, als auch wie diese ionisieren oder zerbrechen.
Am Europäischen XFEL nutzen Molekularphysiker Coulomb-Explosionen, um kleine Moleküle zu untersuchen. Ein hochintensiver und ultrakurzer Röntgenlaserpuls stößt eine große Anzahl von Elektronen aus dem Molekül heraus. Aufgrund der starken elektrostatischen Abstoßung zwischen den verbleibenden, positiv geladenen Atomen, explodiert das Molekül innerhalb weniger Femtosekunden – einem Millionstel einer Milliardstel Sekunde. Die einzelnen ionisierten Fragmente fliegen auseinander und werden von einem Detektor erfasst. Die Position und Zeit des Einschlags werden gemessen und genutzt, um das Momentum – das Produkt von Masse und Geschwindigkeit – mit dem die Ionen auf den Detektor treffen, nachzuvollziehen.
Diese Information kann genutzt werden, um Details über das Molekül zu erfahren. Mithilfe von Modellen können Wissenschaftler die zugrundeliegende Folge von Reaktionen und Prozessen nachvollziehen. Du könntest es mit der Untersuchung eines Verkehrsunfalls vergleichen: Wenn du die endgültige Position der Fahrzeuge kennst, kannst du Rückschlüsse auf Details zum Unfallhergang ziehen. In der Wissenschaft ist das ultimative Ziel dieser Rekonstruktion, die Coulomb-Explosion als einen molekularen Film aufzuzeichnen.[1]
Filme kreieren, die sich bewegende oder reagierende Moleküle aufzeichnen, sind ein Hauptziel von Freien-Elektronen-Lasern. Am Europäischen XFEL in der Nähe von Hamburg machen ultrakurze, ultrahelle Röntgenpulse es möglich, Stop-Motion-Filme von Molekülen in Aktion zu machen. Um einen Schnappschuss eines sich schnell bewegenden Objekts zu machen, braucht man eine kurze Belichtungszeit. Ultrakurze Röntgenblitze können Bilder von extrem schnellen Molekülbewegungen einfangen. Wissenschaftler nutzen viele zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgenommene Bilder um Animationen davon zu schaffen, wie sich Moleküle bewegen – diese werden oft als «Molekulare Filme» bezeichnet.
Wissenschaftler am «Small Quantum Systems» (SQS) Instrument sind besonders interessiert an der Molekularphysik. Sie betrachten die Struktur von Molekülen über die Zeit, indem sie Molekulare Filme aufzeichnen. Was genau bedeutet es, die Struktur eines Moleküls aufzuzeichnen? Seine Gesamtform zu bestimmen? Alle Längen und Winkel seiner Bindungen zu messen? Die Bewegungen eines Atoms zu sehen? Forscher interessieren sich für all diese Aspekte, aber sie sind oft schwer messbar.[3]
Kleine gasförmige Moleküle und besonders leichte Atome wie Wasserstoff, sind schwer zu filmen, sogar am XFEL. Die meisten Methoden hängen von der Annahme ab, dass die Bildgebung vor der Zerstörung der Probe stattfindet. Die Bildgebung von Coulomb-Explosionen bilden eine Ausnahme von dieser Regel, weil sie den Zerstörungsprozess zur Erzeugung von Bildern nutzt.
Die ersten Coulomb-Explosionsexperimente waren nicht für kleine Moleküle in der Gasphase geeignet, weil es schwierig war, die Moleküle zu zerstören und ihre Bilder aufzunehmen, ohne sie vorher zu verformen. Dagegen können Einrichtungen wie der Europäische XFEL sehr brillante, sehr kurze Röntgenpulse erzeugen, die es ermöglichen, ein Molekül explodieren zu lassen, ohne seine Form zu verändern.
Wir können uns das Experiment mit den explodierenden Molekülen wie ein Billardspiel vorstellen. Die Billardkugeln, die zu Anfang des Spiels als Dreieck ausgelegt sind, stellen die Atome dar, die im Molekül in einer bestimmten Form angeordnet sind. Wenn sie von der Spielkugel – dem Röntgenpuls – getroffen werden, fliegen sie mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten in unterschiedliche Richtungen. Als Physiker kannst du das Momentum jeder Kugel messen, um ein Modell des Spiels zu erstellen. Wenn du bereits weißt, wie der Spielball getroffen hat, kannst du die Momentumdaten der Kugeln nutzen, um ihre Anfangspositionen zu berechnen.
Die Ausrüstung, die Physiker benutzen um molekulares Billard zu spielen, heißt Reaktionsmikroskop (REMI) und ist Teil des SQS-Instruments am Europäischen XFEL. Das REMI benutzt statische, elektrische und magnetische Felder, um Ionen und Elektronen zu zeit- und positionsempfindlichen Detektoren an gegenüberliegenden Seiten eines Spektrometers zu lenken. Aus den aufgezeichneten Momenta (Geschwindigkeit und Richtung) der Teilchen, können ihre Emissionsrichtungen, Energien und relativen Winkel erhalten werden.[4] Diese Informationen werden genutzt, um die Struktur des Moleküls zum Zeitpunkt seiner Explosion zu rekonstruieren – ähnlich wie die Positionen der Billardkugeln, bevor sie vom Spielball getroffen wurden.
Coulomb-Explosionsexperimente nutzen die sehr intensiven und sehr kurzen Röntgenpulse, die am Europäischen XFEL möglich sind, um Prozesse zu untersuchen, bei denen mehrere Photonen von einem einzelnen Atom oder Molekül absorbiert werden. Das führt zu extremen Bedingungen, die Einblicke in die fundamentale Wechselwirkung solcher Pulse mit einzelnen Atomen oder kleinen Molekülen liefern. Diese Experimente sind ein großer Schritt in Richtung der Visualisierung kleiner Moleküle und sind noch in der Entwicklung.
Nach den ersten erfolgreichen Experimenten ist die wissenschaftliche Gemeinschaft nun sehr daran interessiert, die Methode zu nutzen, um molekulare Dynamiken zeitaufgelöst zu untersuchen. Durch die Kombination einer Reihe von detaillierten Schnappschüssen einer Molekülstruktur zu verschiedenen Zeitpunkten während einer Reaktion erhofft man, Stop-Motion-Animationen von atomaren Bewegungen zu erzeugen.
Von Molekularen Filmen wird erwartet, dass sie Entwicklungen in verschiedenen Forschungsfeldern anregen werden; besonders vielversprechend sind sie für die Untersuchung photochemischer Prozesse. Diese lichtinduzierten chemischen Reaktionen sind von großer Wichtigkeit sowohl im Labor als auch in der Natur, zum Beispiel bei der Photosynthese oder für visuelle Vorgänge im Auge. Diese grundlegende Forschung könnte bei der Entwicklung neuer Ideen in der Medizin, der nachhaltigen Energieproduktion und der Materialwissenschaften helfen
[1] Schnappschuss eines Moleküls durch Explosion: https://www.xfel.eu/news_and_events/news/index_eng.html?openDirectAnchor=1945
[2] Kastirke G et al. (2020) Photoelectron Diffraction Imaging of a Molecular Breakup Using an X-Ray Free-Electron Laser. Phys. Rev. X 10: 021052. doi: 10.1103/PhysRevX.10.021052
[3] Schnappschuss von explodierendem Sauerstoff: https://www.xfel.eu/news_and_events/news/index_eng.html?openDirectAnchor=1784
[4] Präsentation zum User Meeting: https://www.xfel.eu/users/user_events/users__meetings/2020_users__meeting/slides/index_eng.html
“Explosive Bildgebung” ist ein exzellenter Artikel, der eine neue Methode beschreibt, mit der man molekulare Strukturen erarbeiten kann. Eine umsichtige Nutzung von Verständnisfragen könnte zu genauerem Lesen des Texts anregen. Der Artikel könnte als Ressource zur Unterstützung von Diskussionen zu Elektrostatik genutzt werden und liefert eine alternative Anwendung von elektrostatischer Abstoßung. Er könnte sogar als Basis für Berechnungen genutzt werden.
Er könnte auch zu Vergleichen mit anderen physikalischen Systemen genutzt werden, in denen Objekte in Bewegung es Wissenschaftlern ermöglichen, Rückschlüsse auf diese zu ziehen. Beispielsweise ermöglicht uns die Hubble-Rezession von Galaxien rückzuschließen, dass unser Universum durch einen Urknall vor ungefähr 14 Milliarden Jahren entstand. Die Detektion von Trümmern aus hochenergetischen Teilchenkollisionen im Großen Hadronen-Speicherring (CERN) ermöglicht es Wissenschaftlern, Folgerungen über die Struktur subatomarer Teilchen anzustellen (unter anderem).
Unfallermittler können die Anordnung von Fahrzeugen oder anderen Objekten und den Zustand der Umgebung nutzen, um herauszufinden, wer oder was Schuld an einem Unfall hat.
Zusätzliche Verständnisfragen:
Mike Follows, King Edward’s School, Birmingham (UK)
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