Tief einatmen? Eine Untersuchung der Luftverschmutzung in Innenräumen Understand article
Neue Studien zeigen, wie Emissionen des alltäglichen Haushalts die Luft, die wir zu Hause atmen, belasten.
In vielen Städten auf der ganzen Welt wird die Luftqualität heute kontinuierlich überwacht und es gibt Gesetze, die dazu beitragen, die Luftverschmutzung auf einem akzeptablen Niveau zu halten. In einigen Großstädten tragen Maßnahmen wie das Verbot von Autos in den zentralen Zonen dazu bei, die Belastung der Bevölkerung durch schädliche Schadstoffe zu verringern. Das ist natürlich ein großer Fortschritt, aber wenn man bedenkt, dass die Menschen in den entwickelten Ländern schätzungsweise 90 % ihrer Zeit in Innenräumen verbringen, ist es vielleicht überraschend, dass unser Wissen über die Luftqualität in Innenräumen erheblich hinter dem der Außenluft zurückbleibt. In den letzten Jahren haben Wissenschaftler jedoch damit begonnen, die Qualität der Raumluft und die Chemie, die die Luftverschmutzung in Innenräumen verursacht, genauer zu untersuchen.
Die Quellen von Innenraumschadstoffen
Die meisten Luftschadstoffe in Innenräumen stammen von Dingen, die wir dort verwenden oder tun. Das bedeutet, dass sich die Zusammensetzung der Raumluft in der Regel stark von der der Außenluft unterscheidet. Quellen der Innenraumverschmutzung sind Gasherde und Kaminöfen, die ein Gemisch aus potenziell schädlichen Gasen einschließlich Stickstoffdioxid (NO2) und Kohlenmonoxid (CO) abgeben. Kerzen sind ein weiterer wichtiger Faktor: So kann das Verbrennen einer Kerze für nur eine Stunde genug NO2 produzieren, um die Innenraumkonzentration nahe dem (Stundenmittel-) Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 200 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m3)w1 (Uhde & Shulz, 2015) zu erhöhen. Diese Verbrennungsquellen setzen außerdem kleinste Mengen an inhalierbarem Feinstaub (PM für engl. Particulate Matter) frei. Bei ausreichend hohen Konzentrationen können NO2 und PM zu Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Problemen führen, während die Exposition gegenüber hohen CO-Konzentrationen tödlich sein kann.
Ein weiterer Beitrag zur Luftverschmutzung in Innenräumen sind Haushaltsmaterialien wie Farben, Vinylböden und Wohntextilien sowie Körperpflegeprodukte, Reinigungsmittel und Lufterfrischer. Diese setzen potenziell gefährliche, flüchtige organische Verbindungen (VOCs für engl. Volatile Organic Compounds) in die Umgebungsluft frei. Eines der häufigsten VOCs ist Formaldehyd (Methanal, CH2O), ein farbloses – aber geruchsintensives – Gas, das ein Atemwegsreizmittel und Karzinogen ist.
Ein Einblick in die Luftchemie
Eine der ersten detaillierten Studien zur Raumluftchemie begann im Juni 2018, als 65 Wissenschaftler ein Dreibettzimmer-Testhaus in Texas, USA, übernahmen, um ein Projekt namens “HOMEChem”w2 (Farmer et al., 2019) zu starten. Sie brachten Geräte im Wert von 4,5 Millionen Dollar mit und verbrachten einen Monat lang mit dem Kochen, Reinigen und Ausführen anderer alltäglicher Aufgaben, während analytische Instrumente die Mischung der freigesetzten Innenraumchemikalien gemessen haben. Das Projekt gipfelte in der Vorbereitung eines typischen Thanksgiving-Dinners mit gebratenem Truthahn und allem, was dazu gehört. Beim Kochen dieser Mahlzeit erreichten die NO2-Konzentrationen aufgrund der Emissionen des Gaskochfeldes einen Höchstwert von etwa 200 µg/m3.
Viel einfachere Gerichte erwiesen sich allerdings letztlich als größere Bedrohung: Wurden die Gerichte unter Rühren kurz angebraten, so führte dies zu der höchsten PM10-Konzentration (Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 10 µm) von etwa 350 µg/m3, was durch Partikel aus dem Speiseöl und den Lebensmitteln verursacht wurde. Um das in Relation zu setzen: Der WHO-Grenzwert (24-Stunden-Mittelwert) für PM10 beträgt 50 µg/m3. Das Braten von Eiern, Würsten und Tomaten (zusätzlich zum Toast zum Frühstück) ergab die höchste Konzentration an feinen Partikeln (mit weniger als 2,5 µm Durchmesser, auch bekannt als PM2,5) von etwa 200 µg/m3 (Farmer et al., 2019). Der WHO-Grenzwert hierfür beträgt 25 µg/m3. Zusätzlich sind diese kleineren Partikel vermutlich gesundheitsschädlicher als PM10, da sie weiter in die Atemwege eindringen können.
Reaktionen in der Luft
Sobald diese Moleküle in die Luft abgegeben werden, verbleiben sie nicht lange in ihrer ursprünglichen Form. Durch Reaktionen mit anderen Chemikalien bilden sie neue Stoffe. Die Reaktionsgeschwindigkeiten sind im Innen- und Außenbereich oft unterschiedlich. Lichtgetriebene Reaktionen laufen beispielsweise in Innenräumen langsamer ab, da Glas einen Großteil des ultravioletten Lichts, das die Moleküle im Freien spaltet, nicht durchlässt. Innenleuchten haben gewöhnlicherweise einen niedrigen UV-Anteil. Nichtsdestotrotz können einige Reaktionen ablaufen. So steht beispielsweise in Innenräumen ausreichend Licht zur Verfügung, damit Formaldehyd mit Sauerstoff reagieren kann und sich zwei Hydroperoxy(HO2)-Radikale und ein CO-Molekül bilden. Die HO2-Radikale können dann andere Oxidationsmittel bilden, die mit VOCs in Innenräumen reagieren – in kürzester Zeit führt dies zu Hunderten von verschiedenen Reaktionen, die unzählige verschiedene Verbindungen bilden, von denen einige gesundheitsschädlich sind.
Ein bedeutenderer Faktor für Reaktionen in Innenräumen sind jedoch die verfügbaren Oberflächen. Sie spielen eine wichtigere Rolle als bei Reaktionen im Außenbereich. Der Grund dafür ist das Verhältnis von Fläche zu Volumen, das im Innenbereich deutlich größer ist. Fasern von flauschigen Oberflächen wie Teppichen und Weichmöbeln vergrößern die Oberfläche über die nominale Grundfläche, die ein solcher Gegenstand in einem Raum einnimmt, hinaus. Dadurch erhöht sich die Möglichkeit, dass sich Schadstoffe dort absetzen und mit anderen Chemikalien reagieren (Weschler & Carslaw, 2018).
Tabakrauch und E-Zigarettendampf sind besonders bedenklich. Nikotin und andere Chemikalien in ausgeatmetem Rauch oder Dampf verweilen in der Luft und haften auf Oberflächen von Möbeln oder Textilien. Dieser Rückstand, der auch Dritthandrauchw3 genannt wird, kann später mit Innenraumschadstoffen wie Salpetersäure (HNO2) zu neuen und oft schädlichen Produkten wie krebserregenden Nitrosaminen reagieren. Dritthandrauch ist aufgrund der potenziell negativen gesundheitlichen Auswirkungen ein sehr aktiver Forschungsbereich.
Die vielleicht interessanteste Oberfläche, die Wissenschaftler erforschen, ist jedoch der menschliche Körper. Wenn Ozon in der Luft mit den vielen Ölen und Fettsäuren auf unserer Haut in Berührung kommt, können Reaktionen zu einer Reihe von sekundären Schadstoffen führen. Im Laufe unseres täglichen Lebens in Innenräumen entfernen wir Ozon (O3) aus der Luft und setzen andere Chemikalien frei. Wenn Sie beispielsweise Bleichmittel zur Reinigung Ihres Hauses verwenden, setzt das Mischen der Bleiche mit Wasser Chlorgas (Cl2), hypochlorige Säure (HOCl) und andere Chlorverbindungen in die Umgebungsluft frei. Die Öle auf unserer Haut enthalten ungesättigte Verbindungen mit Kohlenstoff-Kohlenstoff-Doppelbindungen, wie beispielsweise Squalen (C30H50). HOCl reagiert mit den Doppelbindungen zu chlorierten Verbindungen, was erklären könnte, warum unsere Haut gereizt wird, ohne überhaupt in direkten Kontakt mit dem Bleichmittel selbst zu kommen.
Reinigung von Schadstoffen
Als Ergebnis dieser neuen wissenschaftlichen Studien beginnt sich unser einst verschwommendes Verständnis von Luftverschmutzung in Innenräumen zu klären. Offensichtlich bedeutet der Aufenthalt in Innenräumen, dass wir einer Mischung aus Chemikalien und Luftschadstoffen ausgesetzt sind – zumal Energieeffizienz-Maßnahmen dazu führen, dass unsere Häuser und Gebäude zunehmend luftdicht sind, was den Aufbau von Schadstoffen in Innenräumen erleichtert. Die Minimierung unserer Belastung durch diese Schadstoffe ist wichtiger denn je. Denken Sie daher daran, häufig zu lüften, besonders wenn Sie kochen und reinigen, und berücksichtigen Sie die Häufigkeit, mit der Sie Lufterfrischer oder Duftkerzen verwenden. Die Ergebnissen des HOMEChem-Projekts legen es nahe, beim Kochen eine Dunstabzugshaube zu verwenden – besonders beim Anbraten.
Danksagung
Die Autoren bedanken sich für die Unterstützung beim Schreiben dieses Artikels bei der Alfred P Sloan Foundationw4 unter dem Förderkennzeichen G-2018-10083.
References
- Farmer DK et al. (2019) Overview of HOMEChem: House observations of microbial and environmental chemistry. Environmental Science: Processes and Impacts 21: 1280–1300. doi: 10.1039/c9em00228f
- Uhde E, Shulz N (2015) Impact of room fragrance products on indoor air quality. Atmospheric Environment 106: 492–502. doi: 10.1016/j.atmosenv.2014.11.020
- Weschler CJ, Carslaw N (2018) Indoor chemistry. Environmental Science and Technology 52: 2419–2428. doi: 10.1021/acs.est.7b06387
Web References
- w1 – Auf der Webseite der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) finden Sie die 2010 veröffentlichten Richtlinien für die Luftqualität in Innenräumen: Guidelines for Indoor Air Quality.
- w2 – In Chemistry World wurde das “HOMEChem”-Projekt in dem Artikel “Large scale experiment probes chemistry inside our homes” vorgestellt.
- w3 – Dieses kurze video handelt vom Dritthandrauch auf dem “Indoor Chem”- YouTube-Kanal.
- w4 – Die Webseite zu Chemie in Innenräumen der Sloan Foundation bietet weitere Informationen über das Programm sowie Links zu weiteren Quellen und Videos.
Resources
- Lesen Sie mehr über die gesundheitlichen Auswirkungen verschiedener Luftschadstoffe in einem von der WHO veröffentlichten Merkblatt.
- Der “Indoor Chem”-YouTube-Kanal veröffentlich Videos zum Thema der Luftverschmutung in Innenräumen.
Review
Während die Untersuchung der Luftverschmutzung in Außenräumen und ihre Präsenz in den Medien viele Jahrzehnte zurückreichen, ist die Untersuchung der Innenraumbereich ein neueres Thema. Dieser Artikel wurde in prägnantem und klarem Stil verfasst und führt Leser/-innen auf einfache Weise in die Komplexität der Thematik ein, ohne wissenschaftliche Details einzubüßen.
Der Artikel richtet sich an Lehrer/-innen und Schüler/-innen von Sekundarschulen und weckt zunächst allgemein das Interesse am Thema Luftverschmutzung, bevor sich die theoretische chemische Diskussion anschließt. Der direkte Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung in Innenräumen und menschlicher Gesundheit bietet weitere Lehrmöglichkeiten. Webreferenzen und Ressourcen bieten weitere Möglichkeiten das Thema zu vertiefen.
Der Artikel kann auch als Verständnisübung für Lernbewertungen und für eine Diskussion über die Sicherheit von Innenräumen und Möglichkeiten zur Verbesserung der Luftqualität durch unsere eigenen Gewohnheiten und Verhaltensweisen verwendet werden.
Mögliche Verständnisfragen lauten:
- Wie viel Zeit verbringen die Menschen in den entwickelten Ländern im Durchschnitt jeden Tag in Innenräumen?
- Unterscheidet sich die Zusammensetzung der Raumluft in der Regel von der Außenluft?
- Nenne zwei Chemikalien, die bei der Verbrennung in Gasherden und Kaminöfen entstehen.
- Worin besteht der Unterschied zwischen PM10 und PM2.5? Welche Art von Teilchen kann tiefer in die Lunge gelangen?
- Nenne vier Haushaltsmaterialien, die VOCs freisetzen.
- Welche Verbindungen entstehen durch die Spaltung von Formaldehyd durch Licht?
- Was ist Dritthandrauch?
- Nenne drei Maßnahmen, die ergriffen werden können, um die Luftverschmutzung in Innenräumen zu verringern.
- Die Luftverschmutzung in Innenräumen ist heute ein größeres Problem als vor 50 Jahren. Warum ist das so?
Giulia Realdon, Lehrerin für Naturwissenschaften und Bildungsforscherin, Italien