Der Dschungel in deinem Mund: eine Safari durch das Mikrobiom Understand article
Übersetzt von Kathrin Schäker. Ein Wissenschaftsprojekt mit Schülerbeteiligung reiste über 7000 km um die mikrobielle Population in Schülermündern zu erforschen.
Du öffnest deine Lippen, öffnest deine Augen und lächelst den wunderschönen Augen vor dir zu. Aber dieser Kuss hinterlässt nicht nur ein warmes Gefühl bei euch beiden, in diesem gemeinsamen Moment habt ihr auch Mikroben von einem Mund zum anderen ausgetauscht. Das hört sich vielleicht eklig an, aber jeder Kuss, wie auch jede Zigarette, jedes Gericht oder Objekt, das du in den Mund nimmst, kann ganz feine Veränderungen in der mikrobiellen Population deines Mundes auslösen und deine Gesundheit beeinflussen.
2015 reiste der Forscher Luis Bejarano zweieinhalb Monate lang mehr als 7000 km durch Spanien und sammelte Speichelproben in 40 Schulen von 15jährigen für ein Forschungsprojekt, das sich Saca la lengua (Streck deine Zunge rausw1) nennt. In einem Van, ausgerüstet nur mit einer Zentrifuge und einem Gefrierschrank, sammelte Bejarano über 1600 Proben. „Das ist die längste Geschäftsreise, die ich je unternommen habe”, lacht Luis.
„Unser Ziel ist es die Verknüpfung spezieller Verhaltensweisen oder äußerer Einflüsse mit bestimmten Mikroorganismen zu verstehen”, erklärt Toni Gabaldon. Er leitet die Arbeitsgruppe am Center for Genomic Regulation in Barcelona, Spanien, in der Luis arbeitet. Hierzu erstellt sein Team einen Katalog über das Verhalten der Schüler und die Mikroorganismen, einschließlich Bakterien und Pilzen, die in den Schülermündern gefunden wurden.
Dieses Projekt bezieht nicht nur die Schüler in echte Forschung ein, es stellt den Forschern auch eine große Datenmenge zur Verfügung. „Dank der Mithilfe der Schüler führen wir eine der bisher größten Studien zu Mundmikroben durch”, fügt Luis hinzu.
Der mikrobielle Dschungel
Im 17. Jahrhundert entdeckte der niederländische Geschäftsmann Antonie Van Leeuwenhoek einzellige Organismen, inklusive Bakterien, als er in einem Mikroskop seinen Speichel und Zahnbelag untersuchte. Heute wissen wir, dass unser Mund ein echter Dschungel ist: eine Nachbarschaft von koexistenten Spezies die Wissenschaftler das orale Mikrobiom nennen. Jeder Milliliter Speichel enthält ungefähr 140 Millionen Mikroben und es gibt mehr als 700 verschiedene Spezies in deinem Mund.
Tatsächlich sind Mikroben, inner- und außerhalb unseres Körpers, ein wesentlicher Teil von uns. Wir alle sind die Heimat einer riesigen Anzahl von ihnen. Mit einem Gesamtgewicht von ungefähr 1,5 Kilogramm machen die Mikroben im Mund, Darm und auf der Haut 90% aller Zellen unseres Körpers aus (He et al, 2015). In gewisser Weise sind wir mehr Mikrobiom als menschlich.
Das Verhältnis zwischen diesen verschiedenen Mikroben ist ständig in Fluss und Kämpfe zwischen Mikroben sind alltäglich. Antibiotika, die Leben auf der ganzen Welt retten, basieren auf den Waffen die Mikroben nutzen, um um ihr Territorium und Essen zu konkurrieren.
Forscher haben entdeckt, dass das Mundmikrobiom nicht nur Mikroben enthält die Zahnkaries auslösen, sondern dass sie auch eindeutig mit verschiedenen Krankheiten in Verbindung stehen, unter anderem Bauchspeicheldrüsenkrebs, Arteriosklerose (eine Art Herzkrankheit), Diabetes und Obesitas (siehe Kasten und He et al, 2015). Sind die Mikroben im Mund der Auslöser oder die Konsequenz dieser Krankheiten? Und wie können diese Mikroorganismen entfernte Organe beeinflussen? Wissenschaftler kennen die Antworten auf diese Fragen noch nicht, aber das orale Mikrobiom verändert sich während früher Krankheitsstadien. Das Erkennen dieser Veränderungen mit einem Speicheltest könnte Ärzten bei der Diagnose dieser Krankheiten mit einer sehr einfachen Probenahme gelingen: eine Mundspülung. Diese Frage trieb Luis auf die Straße, er besuchte Schulen und bat Schüler um Hilfe – und um ihre Spucke.
“Streck deine Zunge raus”
Luis erklärte das Forschungsprojekt an jeder Schule drei bis vier Stunden lang und erzählte über das Leben eines Forschers. „Ich versuchte den Schülern zu zeigen, dass die Wissenschaft eine Menge Spaß machen kann”, erklärt er und fügt hinzu: „Ich arbeite gerne viel im Labor”. Nach der Vorstellung füllten freiwillige Schüler eine anonyme Umfrage mit Fragen über ihre Lebensweise aus. Viele Fragen wurden von Schülern selbst entwickelt. Monate früher halfen sie Variablen in Lebensweisen zu definieren, die erfasst und analysiert werden sollten. Durch dieses gemeinsame Brainstorming sammeln die Forscher eine Anzahl interessanter Gewohnheiten, wie zum Beispiel Nägel kauen, an Stiften knabbern oder küssen – keine Gewohnheiten die sie am Anfang für den Fragenkatalog in Betracht gezogen hatten. Die Schüler spülten dann kurz ihren Mund mit einem salzhaltigen Puffer (eine Lösung mit kontrolliertem pH) und spuckten in ein Reagenzgefäß um ihre Probe abzugeben.
Im Labor müssen die Wissenschaftler kreativ sein um all die verschiedenen mikrobiellen Spezies in jeder Probe zu identifizieren. „Bei einer klassischen Vorgehensweise würde man die Mikroorganismen in einer Platte im Labor kultivieren”, sagt Toni, „aber das ist bei ungefähr 50 % der Mikroben, die im Mund leben nicht möglich, sie wachsen einfach nicht.” Stattdessen führten sie genomische Analysen durch um die Spezies anhand ihrer mikrobiellen DNA zu identifizieren. Das Team sucht nach speziellen, charakteristischen DNA Sequenzen und vergleicht diese zwischen Organismen um zu bestimmen, welche Spezies in jedem Mund vorhanden sind.
Luis Probenahmeabenteuer endete im April 2015 und seitdem ist das Labor mit der Verarbeitung der Proben und mit dem Auslesen der genomischen Daten beschäftigt. Schüler und die breite Öffentlichkeit helfen nun bei der Analyse und Interpretation der Daten, von der Durchführung der statistischen Analyse der Fragenbögen und der Überarbeitung der Datenvisualisierung bis hin zur bioinformatischen Analyse ähnlich wie sie in Tenorio (2014) beschrieben ist. Die Teilnehmer, die Erkenntnisse entdecken, können Autoren des abschließenden Forschungsartikels werden und für 2016 eine Reise zum Labor in Barcelona gewinnen.
„Ich denke die Schüler, die an diesem Projekt teilgenommen haben, haben es auch genossen: Es war eine total neue und andere Erfahrung”, schließt Luis. Wenn nichts Anderes, dann lernten die Schüler was es bedeutet jemanden zu küssen – im mikrobiellen Sinne.
Mundmikroben: die Guten, die Bösen und die Hässlichen
Während Forscher immer noch die komplexen Mikrobiome der Proben die in diesem Jahr in Spanien gesammelt wurden zusammentragen, wissen wir schon jetzt, dass ein Überschuss oder das Fehlen bestimmter Mikroben im Mund mit verschiedenen Phänomenen im Zusammenhang steht.
- Auf den Zähnen: Streptococcus mutans und viele andere Bakterien verursachen Löcher, aber manch andere Streptococcus spp. verhindern die Kolonisation von Mikroben, die Periodontitis (Zahnfleischentzündung) auslösen. Es ist bekannt, dass Rauchen ein wichtiger Risikofaktor für Periodontitis ist, wahrscheinlich, weil es die schützende Funktion von Streptococcus spp. hemmt (He et al, 2015).
- Auf der Zunge: Mundgeruch (Halitosis) ist die Folge von flüchtigen Schwefelverbindungen und übelriechenden Fettsäuren, die beim Abbau von Aminosäuren und Proteinen von verschiedenen Mikroben (Solobacterium moorei, Atopobium parvulum und Eubacterium sulci) produziert werden. Leuten mit Halitosis fehlen auch manche Mikroben, die normalerweise auf der Zunge vorkommen, zum Beispiel Streptococcus salivarius und Rothia mucilaginosa (He et al, 2015).
- Im Speichel: Das Vorkommen von Neisseria elongata und Streptococcus mitis könnte Bauchspeicheldrüsenkrebs mit einer Genauigkeit von 80-90% prognostizieren (Michaud & Izard, 2014), außerdem wurde das Vorhandensein von Selenomonas noxia mit Obesitas in Verbindung gebracht (Yoshizawa et al, 2013).
References
- Chambers PJ, Pretorius IS (2010) Fermenting knowledge: the history of winemaking, science and yeast research. EMBO reports 11: 914–920. doi: 10.1038/embor.2010.179
- He J et al (2015) The oral microbiome diversity and its relation to human diseases. Folia Microbiologica 60: 69–80. doi: 10.1007/s12223-014-0342-2
- Michaud DS, Izard J (2014) Microbiota, oral microbiome, and pancreatic cancer. Cancer Journal 20(3): 203–206. doi: 10.1097/PPO.0000000000000046
- Tenorio G (2014) Using biological databases to teach evolution and biochemistry. Science in School 31: 30–34.
- Yoshizawa JM et al (2013) Salivary Biomarkers: Toward future clinical and diagnostic utilities. Clinical Microbiology Reviews 26(4): 781–791. doi: 10.1128/CMR.00021-13
Web References
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w1 – Die Webseite des Projektes liefert aktuelle Informationen über den Fortschritt des “Streck deine Zunge raus”-Projektes (in Spanisch)
Review
Dieser Artikel ist ein guter Startpunkt um die Biologie als Wissenschaft und als Verbindung zwischen allen großen Naturwissenschaften, einschließlich der Mathematik, einzuführen. Die Kernaussage ist, dass die Biologie das Zentrum eines Netzwerkes ist, in dem alle anderen Naturwissenschaften, wenn nötig, miteinander verbunden werden können. Solch ein Netzwerk ist notwendig um die große Variabilität mancher natürlichen Phänomene zu erklären und der Artikel zeigt, dass man viele Ansätze verschiedener Fächer nutzen muss, um zu einer Antwort zu kommen.
Lehrer weiterführender Schulen können diesen Artikel als eine Einführung für 5. und 6. Klässler für einen Schüler-zentrierten Unterrichten verwenden. Im Rahmen einer weiterführenden Aufgabe kann der Lehrer die Schüler auch anleiten eine wissenschaftliche Veröffentlichung zu lesen. So erlangen die Schüler die Erfahrung Daten zu verstehen und Fragen so zu formulieren um ein Forschungsgebiet zu entdecken und zu diskutieren. Diskussionsthemen können von den Schülern entwickelt werden, der Lehrer sollte nicht zu viel eingreifen, nur um Fakten richtig zu stellen.
Friedlinde Krotscheck, Österreich