Die Analyse von Kunst am Louvre Understand article

Übersetzt von Silvia Seidlitz. Claire Pacheco erforscht uralte Kunsträtsel mithilfe mordernster Technik

AGLEA, der
Teilchenbeschleuniger des
Louvre

Mit freundlicher Genehmigung
von Jean-Pierre Dalbéra

Im Keller des Louvre-Museums in Paris, Frankreich, befindet sich ein weitaus moderneres Artefakt als die in den oberen Stockwerken ausgestellten Kunstwerke: der Teilchenbeschleuniger des Museums. Der Accélérateur Grand Louvre d’analyse élémentaire (AGLAE) produziert Strahlen von Protonen und Alphateilchen (Heliumkerne), um die Kunstwerke des Museums zu untersuchen. Beispielsweise haben die Wissenschaftler den AGLAE verwendet, um zu überprüfen, ob eine an Napoleon Bonaparte von der französischen Regierung überreichte Schwertscheide in Gold gegossen wurde (dies ist der Fall) und um die Mineralien in den täuschend lebensechten Augen einer 4500 Jahre alten, ägyptischen Skulptur, bekannt als Der Sitzende Schreiber, zu identifizieren (durchsichtiger Quarz und weißes Magnesiumcarbonat, gemasert mit roten Linien aus Eisenoxid).

Die mit dem AGLAE angewandten Verfahren sind nicht-invasiv, was für Kulturgut von höchster Priorität ist, erklärt Claire Pacheco, die Leiterin des für die Bedienung des Beschleunigers verantwortlichen Teams. 

Zu den verwendeten Techniken zählt die Spektrometrie der durch Teilchen verursachten Röntgen- und Gammastrahlenemission. Sie ermöglicht, selbst kleinste Spuren von Elementen aus der Bandbreite von Lithium bis Uran zu  identifizieren. Die positiv geladenen Ionen des Beschleunigers treffen mit etwa zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit auf das Kunstwerk. Wenn die nach der Kollision verbleibenden Elektronen die Vakanzen in den inneren Schalen füllen, kann Röntgenstrahlung emittiert werden. Dieser Prozess wird mit PIXE (particle-induced X-ray emission) bezeichnet. Wechselwirkt der Ionenstrahl mit Atomkernen, so kann eine andere Form elektromagnetischer Strahlung – Gammastrahlung – emittiert werden. Dieser Vorgang wird PIGE (particle-induced gamma-ray emission) genannt.

Bei beiden Prozessen werden Atome im Kunstwerk angeregt und die resultierenden Spektren von den AGLAE Detektoren aufgenommen. Die richtige Analyse ermöglicht Claires Team, die im Artefakt vorhandenen  chemischen Elemente zu identifizieren und quantifizieren, selbst wenn diese nur in kleinsten Mengen auftreten. 

pixe
Der PIXE Prozess:  Ein Elektron der Innenschale wird mittels eines Teilchenstrahls entfernt und die verbleibende Vakanz mit einem Elektron einer äußeren Schale aufgefüllt. Dabei kommt es zur Ausstrahlung charakteristischer Röntgenstrahlung. A: Atomkern; B: Elektron; C: Teilchenstrahl; X: Charakteristische Röntgenstrahlung.
Mit freundlicher Genehmigung von Nicola Graf

 

Die Spurenstoffe und ihr Stoffmengenverhältnis, erläutert Claire, können beispielsweise als geochemische Signaturen von Metallerzen dienen. Identifiziert man Anteile und Kombinationen der Elemente eines Objekts, so kann dieser Fingerabdruck Forschern verraten, wo die Mineralien abgebaut wurden und wie und wann das Werk geschaffen wurde. PIXE und PIGE Prozesse werden inzwischen routinemäßig von Geologen, Archäologen und Konservatoren eingesetzt, um Fragen nach Herkunft, Datierung sowie Authentizität eines Artefakts zu beantworten. Am besten eignet sich die Technik zur Analyse von anorganischen Verbindungen, beispielsweise Steinen, Keramiken, Gläsern und Metallen. 

Da die im Louvre ausgestellten Kunstwerken  sehr wertvoll sind, müssen sie innerhalb der Sicherheitszone des Museums verbleiben. Daher wurde der AGLAE dort 1988 errichtet und wurde ausschließlich zu Analysen für Museen eingesetzt. Heute können auch Objekte, die nicht aus einem der 1220 französischen Nationalmuseen stammen, mit dem AGLAE untersucht werden, sofern es sich um Kulturerbe handelt. Die Physiker und Ingenieure, welche die Analysen durchführen, arbeiten typischerweise mit Kuratoren und Kunsthistorikern zusammen. Der AGLAE ist der einzige Teilchenbeschleuniger, der ausschließlich für dieses Forschungsgebiet eingesetzt wird.

Bevor der AGLAE errichtet wurde, war es nötig, Proben in potentiell schädigendem Vakuum zu platzieren, um sie an anderen Forschungseinrichtungen analysieren zu lassen. Die Untersuchung von größeren Objekten, die nicht in die Vakuumkammer passen, war unmöglich. Zwar benötigt der Beschleuniger des AGLAE ein Vakuum in seinem Inneren, der Teilchenstrahl kann  jedoch in Luft übergehen, bevor er auf die Probe trifft. Somit können Forscher Objekte jeglicher Größe und Form untersuchen.

Claire hat während ihrer Promotion über altertümliche Materialien, speziell islamische Keramiken, an der Universität Bordeaux in Frankreich, begonnen, mit Ionenstrahlanalyse zu arbeiten. Das Amt der wissenschaftlichen Leitung hat sie 2011 übernommen und betreibt den Teilchenbeschleuniger heute mit einem Team aus drei Ingenieuren.

Zwar untersucht der AGLAE häufig Gegenstände der örtlichen Sammlung, sein Einsatzgebiet umfasst jedoch die Analyse von Kunst und Reliquien für Museen in ganz Frankreich und darüber hinaus. Dadurch begegnet Claire in ihrer Arbeit einer großen Vielfalt an Kunstwerken und Artefakten. 

Sie berichtet, wie der Anblick einer vollkommen erhaltenen, neolithischen Halskette (4000 v.Chr.), die in einem britischen Grab gefunden wurde, sie erschauern ließ. Die Halskette wurde aus Variszit gefertigt, einem grünen Gestein, für das aus den AGLAE Analysen die Iberische Halbinsel als Herkunftsland bestimmt werden konnte. Was sie während der Untersuchungen oder aus dem Kontext des Kunstwerkes lernt, erlebt Claire manchmal als sehr berührend. Ein Beispiel dafür ist eine altertümliche, griechische Tonpuppe: Sie wurde im Grab eines kleinen Mädchens gefunden. Claire ist sehr glücklich, in diesem Umfeld zu arbeiten und diese Gegenstände zu untersuchen.

Der Innenhof des Louvre.
Mit freundlicher Genehmigung
von Benh LIEU SONG; Quelle:
Wikimedia 

Ionenstrahlanalyse liefert hilfreiche Informationen zur Beantwortung von Fragen der Human- oder Konservierungswissenschaften, erläutert Claire. Dadurch kann sich ein neuer Kontext eröffnen. Beispielsweise kann der Ursprung von Rohmaterialen zur Rekonstruktion von Handelsrouten einer Zivilisation beitragen und Hinweise auf den Herstellungsprozess liefern. Diese Informationen können Forschern helfen, Interaktionen zwischen verschiedenen Herstellern zu verstehen oder den Verlust von Knowhow an einem bestimmten Ort und Zeitpunkt zu bestätigen. 

Gemälde wie die “Mona Lisa”, was zweifelsfrei das bekannteste Kunstwerk des Louvre ist, können mit AGLAE allerdings nicht untersucht werden. Zwar sind die verwendeten Farbpigmente häufig anorganisch, die zum Mischen der Farben verwendeten Bindemittel jedoch organisch. Die Analyse mit Ionenstrahlen birgt daher eine geringe Gefahr, das Gemälde durch chemische Modifikationen zu beschädigen. Dieses dringende Anliegen wird auf internationaler Ebene bearbeitet und ist Gegenstand aktueller technischer Fachsitzungen.

Momentan wird der AGLAE aufgerüstet. Durch das Installieren empfindlicherer Detektoren können Teilchenstrahlen geringerer Energien verwendet werden. Das neue System wird darüber hinaus Automation beinhalten, sodass mehr Analysen stattfinden können. Damit könnten in der Zukunft sogar noch mehr Kunstwerke unter der Obhut von Claire und ihrem Team landen und das Geheimnis, wie die großen Meister der Vergangenheit ihre Magie webten, preisgeben. 


Resources

Author(s)

Laura Howes gehört zu den Herausgebern von Science in School.  Sie studierte Chemie an der Universität Oxford (Großbritannien) und trat anschließend einer Gelehrtengesellschaft bei, um als Wissenschaftspublizistin und Journalistin zu arbeiten. Im Jahr 2013 zog Laura nach Deutschland und schloss sich Science in Schools am Europäischen Molekularbiologielabor an.

Review

Dieser Artikel zeigt, wie moderne Wissenschaft zur Beantwortung historischer Fragestellungen beitragen kann. Der Einsatz von Instrumenten der Teilchenphysik zur Analyse von Kunstwerken wird am Beispiel des AGLEA beschrieben. Dieses neuartige System am Louvre in Paris setzt einen Teilchenbeschleuniger ein, um Eigenschaften historischer Objekte zu untersuchen.

Geeignete Verständnisfragen wären beispielsweise:

  • Wie funktioniert das System AGLEA?
  • Beschreibe eine Anwendung für AGLEA.
  • Beschreibe einige Grenzen des AGLEA Verfahren.

Gerdt Vogt, Higher Secondary School for Environment and Economics, Yspertal, Österreich

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