Schlampig geangelt: Wenn Meiose schief geht Understand article
Übersetzt von Kathrin Schäker. Warum geht die Meiose so oft schief? Und was sind die Konsequenzen?
Auf einem Stadtfest, hinter den Boxautos und der Zuckerwatte, kräuselt sich die Stirn eines Kindes vor Konzentration. Es versucht sein Bestes um einen hölzernen Fisch aus einem Plastikbecken mit einem Magneten am Ende seiner Angelrute zu angeln. Halten Sie die Szene an und spulen Sie die Zeit zurück bis vor die Entwicklung des Kindes, vor den Zeitpunkt als das Spermium die Eizelle befruchtet hat, bis dahin als die Eizelle selbst sich gebildet hat und Sie werden ein ähnliches Angelspiel vorfinden. Der Unterschied, wie Wissenschaftler am European Molecular Biology Laboratory (EMBL; siehe Kasten) herausgefunden haben, ist, dass die den Magnet nutzenden Kinder wahrscheinlich erfolgreichere Angler sind als die Maschinerie der Eizelle (Kitajima et al., 2011).
Wenn eine Eizelle oder Oozyte im Inneren des Ovars einer Frau reift, durchmacht sie eine Art von Zellteilung die Meiose genannt wird, bei der die Chromosomenpaare der Zelle aufgereiht und auseinandergezogen und die Hälfte von ihnen verworfen werden. Die Chromosomen werden von überall aus der Zellen zusammen gebracht (Mori et al., 2011) und von Proteinstäben auseinander geangelt, die man Mikrotubuli nennt. So wie der Angelstab des Kindes einen Spielzeugfisch an seinen Magneten herauszieht, fängt ein Mikrotubulus ein Chromosom an dessen Kinetochor – einer Ansammlung von Proteinen und genetischem Material am Zentrum des X-förmigen Choromosoms.
Durch die Beobachtung von Eizellen der Maus mit einem Mikroskop konnte der EMBL Wissenschaftler Tomoya (Tomo) Kitajima als Erster die Bewegungen aller Kinetochore der Eizelle während der Zellteilung verfolgen – die ganzen 10 Stunden lang. „Wir waren in der Lage, zum ersten Mal, alle Kinetochore während der Zellteilung zu verfolgen – es gab also keinen Zeitpunkt an dem es nicht eindeutig war wo sich dieser Teil des Chromosoms befindet – und das ist wirklich ein Durchbruch auf dem Gebiet, dies in diesen sehr großen und lichtempfindlichen Zellen zu erreichen“, sagt Jan Ellenberg, der die Arbeitsgruppe leitet.
Tomo benutzte ein Programm das in dem Labor von Jan vorher entwickelt wurde, dieses ermöglichte ihm ein Laserrastermikroskop so zu programmieren, dass es die Chromosomen in dem riesigen Inneren der Eizelle findet und diese dann während der Zellteilung filmt. „Die Oozyte ist eine große Zelle, aber die Chromosomen sitzen nur in einem kleinen Teil dieser Zelle und nur daran waren wir interessiert. Also haben wir einfach unsere Mikroskope intelligenter gemacht, so dass sie erkennen wo die Chromosomen sind und dann in diesen Teil, in Zeit und Raum, hineinzoomen“, erklärt Jan.
Durch die Fokussierung des Mikroskops nur auf den Teil der Zelle wo die Chromosomen sind, erhielt Tomo hochauflösende Bilder in kurzen Zeitintervallen von nur eineinhalb Minuten, dies gab ihm eine deutliche Vorstellung von dem Ablauf. Und da die Mikroskope nur Licht auf diesen kleinen Teil der Oozyte abgaben, wurde die Zelle weniger geschädigt, dies gab den Wissenschaftlern die Möglichkeit die Aufnahme die 10 Stunden der Zellteilung aufrecht zu erhalten (siehe Kasten für mehr Informationen zu intelligenter Mikroskopie).
Zurück beim Angelbecken erhitzen sich die Gemüter und in schrillen Stimmen werden Anklagen laut: „Das ist Betrug! Du darfst den Fisch nicht mit deiner Angel anstupsen!“ Dank Jans und Tomos Arbeit könnte das beschuldigte Kind argumentieren, dass seine Zellen schon genauso „betrogen“ haben bevor es auch nur geboren wurde. Als die EMBL Wissenschaftler die Videos auswerteten, haben sie herausgefunden, dass, bevor die Mikrotubuli an die Kinetochore binden, sie die Chromosomen in eine günstige Position stoßen, wie ein Kind das seinen Fisch mit seinem Angelstab ausrichtet. Die Mikrotubuli stupsen an die Arme der Chromosomen und arrangieren die Chromosomen in einen Ring, so dass sie sie dann einfacher auseinander angeln können.
“Aber selbst nach der Positionierung funktioniert das nicht sehr gut”, sagt Jan. „Wir haben gesehen dass 90% der Kinetochorverbindungen anfänglich falsch ausgebildet wurden und die Mikrotubuli mussten die Chromosome frei geben und nochmal versuchen – durchschnittlich musste dies drei Mal pro Chromosom wiederholt werden.“
Wissenschaftler in den USA haben nun gezeigt, dass die gleiche Art von „Betrug” auch in der anderen Art von Zellteilung vorkommt, die unsere Zellen durchlaufen wenn wir wachsen oder wenn sich Gewebe, etwa Haut, regeneriert (Magidson et al., 2011). Während dieser zweiten Art von Zellteilung, Mitose genannt, teilt sich eine Zelle in zwei Tochterzellen, jede mit der gleichen Menge genetischen Materials wie die „Mutterzelle“, im Gegensatz zur Hälfte des genetischen Materials in der Meiose. Aber Jans und Tomos Erkenntnisse verdeutlichen, dass das Angeln der Chromosomen während der Meiose der Eizelle viel mehr Fehler beinhaltet als bei der Mitose. Die größere Menge an Fehler in der Meiose könnte, so glauben die Wissenschaftler, durch einen fundamentalen Unterschied in der Art wie die Mikrotubuli die Chromosomen in den zwei Typen von Zellteilung auseinander angeln begründet sein.
Während der Mitose fängt die Bildung der Mikrotubuli-Stäbe an zwei gegenüberliegenden Stellen in der Zelle an und sie treffen sich in einer zitronenförmigen Struktur – der Spindel – die dann jedes Chromatid zu einer Seite oder Pol zieht. Aber während der Meiose, so wie Jans Arbeitsgruppe es vor ein paar Jahren herausgefunden hat (Schuh & Ellenberg, 2007), treffen sich die Mikrotubuli der Spindel anfänglich von mehr als 80 verschiedenen Stellen und erst später arrangieren sie sich in einer bipolaren Struktur. „Wenn Mikrotubuli also zum ersten Mal an Chromosomen binden, ist es schwer zu erahnen ob sie sie am Ende in entgegengesetzte Richtungen ziehen oder nicht“, erklärt Jan. Dies, zusammen mit der Tatsache dass eine Eizelle eine viel größere Ausdehnung hat in der die Mikrotubuli Chromosomen finden und ziehen müssen – eine menschliche Eizelle ist mehr als vier Mal größer als eine Hautzelle – könnte erklären warum das Chromosomen angeln so viel fehleranfälliger in der Eizellteilung ist.
Diese Erkenntnis hilft Wissenschaftlern sich auf eine konkrete Stelle zu fokussieren wenn sie weibliche Unfruchtbarkeit und Vorkommnisse wie das Down-Syndrom untersuchen, welches größtenteils von Eizellen mit abnormaler Chromosomenzahl ausgelöst wird. Indem sie zeigten, dass solche Fehler höchstwahrscheinlich vorkommen weil Mikrotubuli daran scheitern die richtigen Verbindungen auszubilden um Chromosomen zu trennen, haben Tomo und Jan einen Schwerpunkt für weitere Studien geliefert. Tatsächlich möchte Tomo nun untersuchen warum diese Versuchs-und-Irrtums-Methode in älteren Eizellen noch fehleranfälliger ist. Wenn er und andere aufzeigen könnten wo der Korrekturmechanismus in älteren Zellen versagt, könnte dies eines Tages der Startpunkt für eine medizinische Behandlung sein um die Angeltechnik der Mikrotubuli zu verbessern. Vielleicht ist das Geheimnis um altersbedingter Unfruchtbarkeit entgegenzuwirken, Mikrotubuli so erfolgreich im Angeln zu machen wie Kinder mit ihren Spielzeugmagneten sind.
Wie man Mikroskope intelligenter macht
Das Programm, das Tomo benutzt hat um Chromosomen während der Zellteilung zu finden und zu filmen war erst der Auftakt weiterer Entwicklungen. Seitdem hat Jans Arbeitsgruppe, in Kooperation mit einem anderen Team am EMBL geleitet von Rainer Pepperkok, ein komplexeres Programm entwickelt, das in der Lage ist noch größere automatisierte Leistungen zu erbringen. Die neue Software, Micropilot genannt, analysiert die von einem Mikroskop aufgenommenen niedrigauflösenden Bilder und findet nicht nur Chromosomen, sondern auch jede andere Struktur die die Wissenschaftler dem Programm zu erkennen gelehrt haben.
Wenn Micropilot die Zelle oder die Struktur, in die die Wissenschaftler interessiert sind, identifiziert hat, instruiert es automatisch das Mikroskop mit einem Experiment zu starten. Dieses kann so einfach sein wie die Aufnahme eines hochauflösenden Zeitraffervideos oder so komplex wie mit Lasern auf fluoreszenzmarkierte Proteine einzuwirken und die Ergebnisse aufzunehmen. Das Programm ist eine Wohltat für systembiologische Untersuchungen da es mehr Daten in einer schnelleren Geschwindigkeit erzeugt. Dank des hohen Umsatzes kann Micropilot leicht und schnell genug Daten für statistisch verlässliche Ergebnisse erzeugen, dies erlaubt Wissenschaftlern die Rolle von hundert verschiedenen Proteinen in einem bestimmten biologischen Prozess zu erforschen.
Mehr über das EMBL
Das European Molecular Biology Laboratory (EMBL)w1 ist eines der weltweit führenden Forschungsinstitute, das sich der Grundlagenforschung in den Lebenswissenschaften widmet. Das EMBL ist international, innovativ und arbeitet interdisziplinär. Die Angestellten aus über 60 Nationen haben fachliche Hintergründe in Biologie, Physik, Chemie und Computerwissenschaften und kooperieren miteinander innerhalb ihrer Forschung, die das ganze Spektrum der Molekularbiologie umfasst.
EMBL ist ein Mitglied des EIROforumw2, dem Herausgeber von Science in School.
References
- Kitajima TS, Ohsugi M, Ellenberg J (2011) Complete kinetochore tracking reveals error-prone homologous chromosome biorientation in mammalian oocytes. Cell146(4): 568-81. doi: 10.1016/j.cell.2011.07.031
- Magidson V et al. (2011) The spatial arrangement of chromosomes during prometaphase facilitates spindle assembly. Cell 146(4): 555-67. doi: 10.1016/j.cell.2011.07.012
- Mori M et al. (2011) Intracellular transport by an anchored homogeneously contracting F-actin meshwork. Current Biology 21: 606-61. doi:10.1016/j.cub.2011.03.002
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Eine frei zugängliche und einfach geschriebene Erläuterung dieser Forschungsergebnisse finden Sie im EMBL Jahresbericht:
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EMBL (2012) Neat nets. In EMBL Annual Report 2011/2012 pp 86-88. Heidelberg, Germany: European Molecular Biology Laboratory.
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- Schuh M, Ellenberg J (2007) Self-organization of MTOCs replaces centrosome function during acentrosomal spindle assembly in live mouse oocytes. Cell130(3): 484-98. doi: 10.1016/j.cell.2007.06.025
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Eine frei zugängliche und einfach geschriebene Erläuterung dieser Forschungsergebnisse finden Sie im EMBL Jahresbericht:
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EMBL (2008) Push me, pull you. In EMBL Annual Report 2007/2008pp 46-50. Heidelberg, Germany: European Molecular Biology Laboratory.
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Web References
- w1 – Für mehr Informationen über das EMBL besuchen Sie die Webseite des EMBL.
- w2 – EIROforum ist eine Zusammenarbeit zwischen acht der größten europäischen wissenschaftlichen Forschungsorganisationen, die ihre Ressourcen, Einrichtungen und Erfahrungen verbinden, um so das volle Potential der Forschung in Europa auszunutzen. Als Teil seiner Ausbildungs- und Informationsaktivitäten veröffentlicht EIROforum Science in School.
Resources
- Schauen Sie sich ein Video von Mikrotubuli an, die Chromosomen in die richtige Position stupsen.
Institutions
Review
Dieser Artikel behandelt neue wissenschaftliche Erkenntnisse bezüglich der Aufklärung von Zellteilungsmechanismen, nämlich das Andocken von Mikrotubuli an Chromosomen während Mitose und Meiose.
Aufgrund der detaillierten Einzelheiten in diesem Artikel ist dieser im Besonderen hilfreich für Oberstufenschüler der Biologie (ab 15 Jahren), die Themen wie Zytology (Mitose und Meiose), Genetik (die Ursachen und Folgen von chromosomalen Abnormalitäten) und Fortpflanzung (Gametogenese und Unfruchtbarkeit) behandeln.
Der Artikel kann genutzt werden um tiefgreifendere Diskussionen über die Nutzen und Risiken der Untersuchung von biologischen Phänomenen in Modellorganismen (Modellorganismen können helfen Vorgänge zu verstehen) zu initiieren. Zum Beispiel werden in dem größten Teil der Lehrbücher, die Mitose und Meiose beschreiben, Chromosomen als große Strukturen dargestellt. Dies kann dazu führen, dass Schüler glauben dass Chromosomen in jedem Zelltyp einfach zu beobachten sind. Dies ist jedoch nicht der Fall, wie in diesem Artikel klargestellt wird.
Weiterhin erläutert der Artikel wie die Bemühungen einer Arbeitsgruppe in möglichen Nutzen für andere Forschungsgebiete resultiert, außerdem werden die synergistischen Beziehungen zwischen Wissenschaft und Technologie hervorgehoben.
Betina da Silva Lopes, Portugal