Gesunder Schrecken: der Nutzen von Parasiten Understand article
Übersetzt von Veronika Ebert, Höhere Bundeslehr- und versuchsanstalt für chemische Industrie, Wien. Matt Kaplan untersucht die in uns hausenden Schrecken– sollten wir unsere Sichtweise auf diese Lebensformen verändern?
Seit mehr als 100 Jahren gibt es eine einigermaßen stabile Definition, was man unter einem „gesunden“ Menschen versteht. Gängige Lexika beschreiben „Gesundheit“ als einen Zustand frei von Gebrechen und Krankheit. Diese Definition wird durch Forschungsergebnisse der letzten zehn Jahre immer mehr in Frage gestellt. Die Ergebnisse zahlreicher Studien lassen vermuten, dass verschiedene Krankheitserreger eine Schlüsselrolle bei der Aufrechterhaltung der Gesundheit vieler Lebewesen spielen.
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel liefern parasitische Bandwürmer der Gattungen Anthrobothrium und Paraorigmatobothrium. Wie andere Bandwürmer leben sie im Inneren des tierischen Darms und nehmen Nährstoffe aus verdauten Lebensmitteln auf.
Aber statt den Darm von Hunden, Katzen oder Menschen zu besiedeln, verbringen diese Würmer ihr Leben im Darm von Haien. Noch bevor die Haie dazu in der Lage sind, absorbieren sie die Nährstoffe aus dem Darm. Während kleine Populationen von Bandwürmern die Tiere ganz einfach zwingen, mehr zu fressen, verursachen größere Populationen schwere Erkrankungen.
Kürzlich konnte im Rahmen einer Studie von Masoumeh Malek und seinem Team an der Universität Teheran (Iran) gezeigt werden, dass die Parasiten einen sehr wertvollen Beitrag zur Gesundheit der Tiere leisten.
16 Weißwangenhaie (Carcharhinus dussumieri) aus dem Persischen Golf wurden zerlegt und die vorhandenen Bandwürmer entfernt. Anschließend wurde die Konzentrationen verschiedener Stoffe in den Geweben des Hais und in den Würmern verglichen. Erstaunlicherweise fand sich in den Körpern der Würmer eine 278- bis 455-fach höhere Konzentration der giftigen Schwermetalle Cadmium und Blei als im Gewebe der Haie.
Dieser Befund zeigt, dass die Würmer dem Darm der Haien zwar einen Teil der Nährstoffe wegnehmen, aber gleichzeitig eine außerordentlich wertvolle Serviceleistung erbringen, da sie Schwermetalle herausfiltern und dadurch die Raubtiere vor einer Vergiftung mit Schwermetallen schützen (Malek et al., 2007).http://www.scienceinschool.org/node/2557#overlay=node/2557/edit
Befunde wie dieser stellen die bisherige Definition des Begriffs „Parasit“ in Frage. Unter „Parasiten“ versteht man normalerweise Lebewesen, die sich nehmen, was sie brauchen und dabei ihren Wirt schädigen, ohne irgendeine Gegenleistung zu erbringen. Im Gegensatz dazu sind „Mutualisten“ Organismen, die durch den Wirt einen Vorteil haben, aber auch etwas zurückgeben. Sogenannte „Kommensalen“ bringen einen Nutzen für den Wirt, ohne aus der Interaktion selbst einen Vorteil ziehen zu können. Es ist alles andere als leicht zu entscheiden, welche Rolle die Bandwürmer des Hais, die üblicherweise als Parasiten gesehen werden, tatsächlich einnehmen. Diese Verwirrung beschränkt sich nicht nur auf Parasiten des Hais. Auch Parasiten mit einer Vorliebe für menschliche Wirte lassen viele Fragen offen.
Die Konfusion begann in den 1970er Jahren, als sich der an chronischen Allergien leidende Wissenschafter John Turton – damals am Medical Research Council, Großbritannien beschäftigt – entschied, sich selbst mit dem parasitischen Bandwurm Necator americanus zu infizieren. Dieser Versuch klingt zwar verrückt, aber Turton vermutete, dass die Abwehr von Parasiten das Verhalten des Immunsystems dahingehend verändern könnte, dass sich seine allergischen Reaktionen verringern. Erstaunlicherweise gelang Turtons Selbstversuch. Er berichtete im medizinischen Fachjournal „Lancet“, dass sich seine allergischen Reaktionen in den zwei Jahren, in denen er vom Parasiten infiziert war, verringerten (Turton, 1976).
Turtons Versuch lag die Überlegung zugrunde, dass Allergien, Ekzeme und Asthma Überreaktionen des Immunsystems darstellen. Normalerweise spürt das Immunsystem gefährliche Organismen auf, und zerstört sie. In Patienten, die an Allergien, Ekzemen und Asthma leiden, attackiert das Immunsystem dagegen nicht nur gefährliche Eindringlinge, sondern auch Stoffe, die eigentlich nicht bekämpft werden sollen.
Da Würmer seit Millionen von Jahren vom Immunsystem attackiert werden, konnten sie Mechanismen entwickeln, sich den Attacken des Immunsystems zu entziehen. Als einer der wirkungsvollsten Mechanismen werden bestimmte Stoffe ausgeschüttet, die die Empfindlichkeit des Immunsystem reduzieren. Dadurch werden weniger Eindringlinge wahrgenommen, und die Parasiten werden weniger drangsaliert.
Das Immunsystem zu dämpfen klingt nicht besonders vorteilhaft, vor allem wenn Parasiten daraus einen Vorteil ziehen können. Wissenschafter der Universität Nothingham (GB) vermuten aber, dass das menschliche Immunsystem – nach Millionen Jahren Evolution – die Attacke durch Parasiten so sehr gewöhnt ist, dass es in ihrer Abwesenheit manchmal fehlreagiert und völlig überreagiert.
Obwohl Turtons Experiment bahnbrechend war, nahm an der Studie nur eine einzige Person teil – er selbst. Aussagekräftige Daten können nur durch Studien mit vielen TeilnehmerInnen, und mehrmaliger Wiederholungen gewonnen werden. David Pritchard und seine KollegenInnen von der Nottingham University School of Pharmacyw1, GB verfolgen genau diesen Ansatz.
Pritchards Gruppe hat viele Jahre lang die Häufigkeit von Allergien und Asthma untersucht, einerseits in Entwicklungsländer, wo parasitische Würmer häufig sind, andererseits in entwickelten Staaten, wo sie praktisch nicht vorkommen. Sie konnten die Befunde anderer WissenschafterInnen bestätigen, dass Allergien in Regionen, in denen parasitische Würmer weit verbreitet sind, praktisch nicht vorkommen. Dieser Befund deutet darauf hin, dass die Menschen durch Parasiten vor Asthma und Allergien geschützt bleiben. Da es aber viele weitere Unterschiede zwischen Entwicklungsländern und entwickelten Staaten gibt, die ebenfalls eine Rolle spielen könnten, muss zwischen diesen beiden Tatsachen keine kausaler Zusammenhang bestehen.
Die einzige Möglichkeit herauszufinden, ob derartige Parasiten tatsächlich eine wichtige Rolle für die Erhaltung der korrekten Funktion des Immunsystems spielen, wäre, eine große Zahl von Personen, die unter Allergien und Asthma leiden, gezielt zu infizieren, und anschließend ihren Zustand genau zu verfolgen, um feststellen zu können, ob die Symptome – im Vergleich zu einer nicht infizierten Kontrollgruppe – mit der Zeit schwächer werden.
Solche Versuche mit AsthmatikerInnen werden derzeit in Nottingham durchgeführt. Weitere Untersuchungen sollten gegebenenfalls die Daten absichern, je nachdem, wie die PatientenInnen auf die Behandlung reagieren.
Wenn tatsächlich bestätigt werden kann, dass die Infektion mit Parasiten bei der Behandlung von allergischen Zuständen hilfreich ist, bleibt trotzdem die Frage offen, ob die Menschen bereit sind, in Turtons Fußstapfen zu treten, und einen Mund voller Wurmlarven als Medizin zu verschlucken. Glücklicherweise wird ihnen das erspart bleiben: An der Strathclyde Universität in Glasgow (GB) arbeitet die Arbeitsgruppe rund um William Harnett an einem komplexen Protein, das von einem parasitischen Wurm, der Nagetiere befällt (Acanthocheilonema viteae), gebildet wird. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass das gereinigte Protein auch ohne den Wurm in der Lage ist, allergische Entzündungsreaktionen zu dämpfenw2.
Obwohl noch viel Arbeit notwendig ist, um die Wirkung dieses Proteins vollständig zu verstehen, dürften parasitische Proteine sehr gute Kandidaten für Medikamente gegen Allergien, Asthma und Ekzeme sein. Vielleicht findet die Öffentlichkeit diese Lösung etwas appetitlicher?!
References
- Garner S, Evaluation einer medizinischen Behandlung. Science in School 16: 54-59. www.scienceinschool.org/2010/issue16/clinical/german
- Malek M et al. (2007) Parasites as heavy metal bioindicators in the shark Carcharhinus dussumieri from the Persian Gulf. Parasitology 134(7): 1053-1056. doi: 10.1017/S0031182007002508
- Turton JA (1976) IgE, parasites, and allergy. The Lancet. 308(7987): 686. doi: 10.1016/S0140-6736(76)92492-2
Web References
- w1 – Weitere Informationen zu den Arbeiten von David Pritchard und seinen KollegenInnen unter: www.nottingham.ac.uk/pharmacy/people/david.pritchard
- w2 – Weitere Informationen zu William Harnetts Arbeiten unter: http://spider.science.strath.ac.uk/sipbs/staff/Billy_Harnett.htm
- w3 – Nähere Informationen zum Autor, Matt Kaplan, siehe: www.scholarscribe.com
Resources
- Weitere Informationen über parasitische Würmer siehe:
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Wilson A, Haslam S (2009) Sugary insights into worm parasite infections. Science in School 11: 20-24. www.scienceinschool.org/2009/issue11/schistosomiasis
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Review
Der Artikel führt in hervorragender Art und Weise in die verschiedenen Interaktionstypen zwischen Organismen ein, und kann für unterschiedliche Zwecke verwendet werden.
In dem Artikel werden verschiedene Arten von Parasiten diskutiert. Wo findet man Parasiten im täglichen Leben? Schülerinnen und Schüler könnten zum Beispiel über Endoparasiten in Katzen, Hunden und Aquarienfischen nachdenken. Oder über Ektoparasiten wie Zecken, Läuse und Blutegel. In welchen Organen kommen diese Parasiten vor, und welche Wirkungen haben sie auf ihre Wirte? Die SchülerInnen könnte die Gefahren und die Nutzung von Blutegeln im Laufe der Geschichte recherchieren. Sie könnten sich auch über den Lebenszyklus einzelner Parasiten informieren, und nachdenken, wie die Anatomie der Tiere der jeweiligen Lebensweise angepasst ist.
Der Artikel setzt mit der Interaktion der Parasiten mit dem Immunsystem fort, und wäre geeignet, eine Diskussion zu verschiedenen Komponenten und der Regulation des Immunsystems zu initiieren. Was tun, wenn das Immunsystem selbst das Problem verursacht? Wie viel wissen Schülerinnen und Schüler über Asthma und Allergien? Leidet jemand von ihnen an einer Allergie? Welche Ursachen gibt es, wie können diese Allergien über längere Zeit behandelt werden, wie sollen SchülerInnen in Notfällen reagieren?
Der Autor führt dann die Idee ein, Parasiten und Parasitenextrakte zur Behandlung von Allergien einzusetzen. Wie viel wissen die SchülerInnen über die Schulmedizin? So könnten Antibiotika und bakterielle Resistenzen diskutiert werden, und ob die SchülerInnen glauben, dass in Zukunft alternativmedizinische Verfahren als Alternative oder Ergänzung verwendet werden können. Es könnte auch besprochen werden, wie neue Behandlungsmethoden entwickelt und getestet werden (siehe auch Garner & Thomas, 2010).
Sollen Behandlungsmethoden an freiwilligen Versuchspersonen getestet werden, oder ist es die Pflicht aller Bürger an solchen Tests teilzunehmen? Wer soll die Forschung bezahlen, und wer profitiert davon? Ist es richtig, dass Medikamente patentiert werden können? Sollen Gensequenzen oder genetisch veränderte Organismen patentierbar sein?
Morten Schunck, Dänemark