Wie Plankton einen Jetlag bekommt Understand article

Übersetzt von Daniel Busch. Eine der weltweit größten Migrationen wird wahrscheinlich durch ein Hormon angetrieben, das unsere Schlafrhythmen steuert.

Das Reisen durch mehrere
Zeitzonen stört unseren
Körperrhythmus und
resultiert in einem Jetlag

Mit freundlicher Genehmigung
von Slack 12; Bildquelle: Flickr

Melatonin ist ein essentielles Hormon zur Aufrechterhaltung des täglichen Rhythmus und des Schlafes beim Menschen. Forscher am European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg, Deutschland haben jetzt entdeckt, dass es ebenfalls die nächtliche Wanderung von Planktonarten von der Oberfläche zu tieferen Schichten des Wassers steuert (Tosches et al 2016).

In Wirbeltieren hat Melatonin entscheidende Rollen bei der Kontrolle der Körperaktivität und der Sicherstellung eines regelmäßigen Rhythmus des Tag-Nacht-Wechsels über die Zeit von 24 Stunden. Wenn wir druch Zeitzonen, wodurch diese Abfolge gestört wird, gerät unser übliches Muster aus dem Gleichgewicht und wird leiden unter Jetlag.

Praktisch alle Tiere haben Melatonin, und es spielt bei allen Spezies eine ähnlich Rolle, einschließlich einiger Mikroorganismen, die Forscher für unseren sehr entfernten Vorfahren ähnlich halten. Das Verstehen der Rolle des Melatonins in diesen primitiven Organismen könnte einige Hinweise zur Evolution unseres Nervensystems bringen.

Circadianer Rhythmus

Haben Sie schon vom ‚circadianen Rhythmus‘ gehört? Das Wort ‚circadian‘ kommt aus dem Lateinischen: circa bedeutet etwa, und dien bedeutet Tag – also etwa einen tag. Es bezieht sich auf den 24-Stunden-Zyklus dem die meisten unserer Körperfunktionen (z.B. Körpertemperatur, Blutdruck und Hormonproduktion) folgen. Einen regelmäßigen und ausbalancierten circadianen Rhythmus zu haben ist sehr wichtig, weil eine Störung gesundheitliche Probleme führen können, die von unbequemen Problemem wie Jetlag bis zu ernsten Problemen wie Depression reichen.


Wie Menschen synchronisert werden

Obwohl ähnliche Mechanismen in anderen Spezies existieren, sind Menschen genau genommen eine der am meisten untersuchten Spezies, wenn es um das Verstehen circadianer Rhythmen geht. Der circadiane Rhythmus hängt nur vom Licht ab und wird meist durch die Augen kontrolliert. Die menschliche Retina hilft uns nicht nur beim bewussten Sehen von Dingen, sondern spielt auch eine Rolle als Lichtsensor, der uns erlaubt unsere Körperfunktionen an die Lichtquantität in unserer Umgebung anzupassen. Sie enthält einen kleinen Prozentsatz (ungefähr 1 %) an sehr spezifischen Photorezeptoren, die intrinsisch photosensitive retinale Ganglienzellen (ipRGC) genannt werden. Diese sind direkt an die zentrale Körperuhr im Gehirn gebunden und produzieren ein Molkeül mit dem Namen Melanopsin.

Photrezeptoren in unseren
Augen sind mit der zentralen
Körperuhr im Gehirn
verbunden

Mit freundlicher Genehmigung
von Roman Miramontes;
Bildquelle: Flickr

Die ipRGCs nehmen nur die Intensität des Lichts wahr: sie werden aktiviert und produzieren Melanopsin, wenn viel Licht vorhanden ist, genauer blaues Licht, und sie stoppen ihre Produktion in der Nacht, wenn die Lichtintensität geringer ist. Melanopsin wird direkt in der zentralen Körperuhr des Gehirns entlassen, die sich knapp oberhalb der Stelle befinden, an der sich die beiden optischen Nerven kreuzen – ihr wissenschaftlicher Name ist der Suprachiasmatische Nucleus (SCN), ther Nukleus oberhalb der Kreuzung.

Über eine Kaskade an Reaktionen hemmt Melanopsin die Produktion von Melatonin in der Zirbeldrüse, einer anderen Hirnregion. Als Konsequenz wird Melatonin nur während der dunklen Stunden – in der Nacht – produziert. Melatonin spielt eine zentrale Rolle in fast allen Körperfunktionenw1, wie Schlafrhythmus oder Temperatur; die Körpertemperatur fällt durchschnittlich um 1 °C von Tag zu Nacht.

Um sicherzustellen, dass alle Funktionen jeden Tag und unabhängig vom Wetter  ordnungsgemäß ausgeführt werden, passt sich der Körper nicht nur an die Lichtintensität an, die er gerade sieht, sondern auch an seine kürzliche Rate der Exposition zu Licht. Auf eine Art und Weise, die noch nicht ganz verstanden ist, behält Melanopsin eine Erinnerung an seine kürzliche Exposition. Wenn sich dieses Muster ändert, zum Beispiel wenn man durch mehrere Zeitzonen reist, wird der Rhythmus unterbrochen und es dauert mehrere Tage, um wieder synchron zu werden, was den Jetlag verursacht.

Wanderungen des Planktons

Melatonin kommt auch in anderen Spezies vor, sogar in mikroskopisch kleinen, die nicht so viele verschiedene Funktionen haben, wie der menschliche Körper. Was ist seine Rolle für sie? Um genau das herauszufinden, widmeten sich Detlev Arendt und seine Kollegen vom EMBL dem marinen Seeringelwurm Platynereis dumerilii, einer winzigen Kreatur, die den ersten Tieren mit einem Gehirn und Nervensystem, die auf der Erde aufgetaucht sind, als sehr ähnlich gilt.

Platynereis dumerilii
Mit freundlicher Genehmigung
von EMBL/Detlev Arendt

Die Larven dieses Wurms nehmen an einem Vorgang teil, der als die größte Migration des Planeten in Bezug auf Biomasse beschrieben wird: die täglich ablaufende vertikale Bewegung des Planktons im Ozean. Durch das Schlagen einer Reiher mikroskopischer Flossen (Cilia), die gürtelförmig um die Mittellinie des Larven angordnet sind, können sie jeden Tag in Richtung Wasseroberfläche wandern. Sie erreichen die Wasseroberfläche gegen Sonnenuntergang und ziehen sich dann im Laufe der Nacht in tiefere Wasser zurück, wo sie mittags vor schädlichen UV-Strahlen geschützt sind.

“Wir haben eine Gruppe von multitaskingfähigen Zellen im Gehirn dieser Larven entdeckt, die sowohl Licht wahrnehmen, als auch die interne Uhr steuern”, sagt Detlev. “Wir glauben also, dass Melatonin die Nachricht ist, die diese Zellen nachts produzieren um die Aktivität anderer Neuronen zu regulieren, die letztendlich den Tag-Nacht-Rhythmus antreiben.

Maria Antonietta Tosches, eine Forscherin mit Postdoktorandenstelle in Arendts Labor, entdeckte eine Gruppe spezialisierter Motorneuronen die auf Melatonin reagieren. Unter Verwendung moderner molekularer Sensoren war sie in der Lage die Aktivität dieser Neuronen im Larvengehirn zu visualisieren und sie fand heraus, dass sich die Aktivität von Tag zu Nacht radikal änderte. Die nächtliche Produktion von Melatonin verursacht Veränderungen in der Aktivität dieser Neurons, was wiederum dafür sorgt, dass die Cilien der Larven lange Pausen vom Schlagen nehmen. Als Resultat dieser ausgedehnten Pausen sinken die Larven langsam hinab. Während des Tages wird kein Melantonin produziert, die Cilien pausieren weniger und die Larven schwimmen nach oben. “Als wir die Larven Melatonin tagsüber ausgesetzt haben, haben sie auf nächtliches Verhalten umgeschaltet”, sagt Tosches. “Es ist, als seien sie im Jetlag.”

Jede Nacht sorgt ein Anstieg des Melatoninlevels im Gehirn der Larven dafür, dass diese sich von der Wasseroberfläche wegbewegen
Mit freundlicher Genehmigung von EMBL/MA Tosches 

Von Platynereis zum menschlichen Gehirn

Die Forschungen deuten stark darauf hin, dass die lichtsensitiven, Melatonin-produzierenden Zellen im Kern der nächtlichen Migration der Larven evolutionäre Verwandte im Gehirn des Menschen haben. Dies impliziert, dass sich die Zellen, die unseren Schlaf-Wach-Rhythmus kontrollieren, vor hunderten von Millionen Jahren in den Ozean entwickelt haben, als Antwort auf den Zwang, sich von der Sonne wegzubewegen.

“Wir können Schritt für Schritt den evolutionären Ursprung der Schlüsselfunktionen unseres Gehirns zu beleuchten. Es entsteht das faszinierende Bild, dass die Humanbiologie ihre Wurzeln in  einigen hochkonservativen Aspekten der ozeanischen Ökologie hat, die die Erde seit uralten evolutionären Zeiten dominieren,” schließt Detlev.


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Author(s)

Isabelle Kling wurde als Biochemikerin und naturwissenschaftliche Sprecherin ausgebildet, hat danach an verschiedenen Projekten in Kanada und Europa mitgearbeitet. Sie ist nun eine der Herausgeber von Science in School am EMBL.

Review

Jeder Schüler verändert sein Schlafmuster während er heranwächst. Sie müssen sich mit Anforderungen des Stundenplans arrangieren, die teilweise ihrem circadianen Rhythmus widersprechen. Dieser Artikel lädt Schülerinnen und Schüler ein, die Grundlagen über ihre persönliche, beste Zeit zum Arbeiten kennenzulernen. Das Verstehen der biologischen Fakten hinter dem circadianen Rhythmus macht es einfacher, seine Gewohnheiten zu ändern und gibt den Lernenden das Gefühl der Befähigung. Dieses Thema könnte einen lebensverändernden Einfluss auf ihre Zukunft haben.

Der Artikel könnte für die folgenden Übungen im Unterricht genutzt werden:

  • Melatonin als Medikament gegen Jetlag: erkläre unter Einbezug der Tageszeit, unter welchen Umständen dies Sinn macht (beim Reisen nach Osten oder Westen),.
  • Zeichne ein Diagramm zurm Zusammenhang zwischen Tag und Nacht und der Ausschüttung von Melanopsin und Melatonin im Gehirn.
  • Definiere mithilfe des Internets die lichtsensitiven Areale des menschlichen Körpers.

Friedlinde Krotscheck, Austria

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