DNA entschlüsseln mit einem Sequenzierer im Taschenformat Understand article

USB-betriebene DNA-Sequenzierer, kleiner als ein Smartphone, könnten das Auslesen der Erbinformation revolutionieren – in Krankenhäusern, an abgelegenen Orten und sogar im Weltraum.

Was waren die größten technologischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts? Computer mögen einem einfallen: Einen ganzen Raum füllten die ersten Rechenmaschinen für militärische und kommerzielle Nutzung, bevor sie in den 1980er Jahren in kleinere, erschwingliche Konsumgüter verwandelt wurden. Die Rechenleistung ist so stark gestiegen, dass Smartphones von heute Aufgaben bewältigen, an denen selbst die leistungsfähigsten Computer vor einigen Jahrzehnten noch scheiterten. Jetzt wird eine andere Technologie ähnlich revolutioniert: der DNA-Sequenzierer.

Eine neue Methode zur Sequenzierung macht es einfacher denn je, DNA zu entschlüsseln.
Iaroslav Neliubov/Shutterstock.com
 

DNA speichert die Erbinformation, die von Generation zu Generation weitergegeben wird. Ähnlich wie Computer Information als eine Kette von Nullen und Einsen speichern, wird die Information in der DNA als Code aus den vier Basen gespeichert: A, T, C und G (Adenin, Thymin, Cytosin und Guanin).

Im Jahr 2003 wurde das erste menschliche Genom – die vollständige genetische Information – sequenziert. Es dauerte sieben Jahre, 150 Wissenschaftler waren beteiligt und das Mammutprojekt kostete 3 Milliarden US-Dollar (2,5 Milliarden Euro). Heute gelingt die Genomsequenzierung in gut einem Tag für rund 1000 Dollar (850 Euro). Außerdem muss die Entschlüsselung der DNA nicht mehr in einem großen Labor stattfinden: Es gibt einen tragbaren Sequenzierer, der in die Hosentasche passt. Diese bemerkenswerte Kosten- und Größenreduzierung ist einer neuen Technik namens Nanoporen-Sequenzierung zu verdanken

Abbildung 1: Ein Nanoporen-
Sequenzierer, der über USB
an einen Laptop
angeschlossen ist. Die DNA
Lösung (gelb) wird mit einer
Pipette in den Sequenzierer
gegeben.

Oxford Nanopore Technologies
 

Wie funktioniert Nanoporen-Sequenzierung?

Tragbare DNA-Sequenzierer sind seit 2015 auf dem Markt. Der Sequenzierungsprozess ist einfach: Im Gegensatz zu früheren DNA-Sequenzierungsverfahren müssen Wissenschaftler keine Millionen von zusätzlichen Kopien der DNA herstellen oder die DNA mit fluoreszierenden oder radioaktiven Markierungen versehen. Zuerst wird die DNA – gewonnen zum Beispiel aus einer Speichel- oder Blutprobe – extrahiert und mit einer Elektrolyt-Lösung gemischt, um sie für die Sequenzierung vorzubereiten. Diese DNA-Flüssigkeit wird dann direkt in den Nanoporen-Sequenzierer pipettiert, der über ein ganz normales USB-Kabel mit einem Laptop verbunden ist (Abbildung 1).

Im Inneren des Nanoporen-Sequenzierers entwindet ein Enzym die DNA-Doppelhelix und führt einen der Stränge durch eine Nanopore – einen mikroskopisch kleinen Kanal in der Mitte eines Membranproteins. Über der Nanopore wird eine elektrische Spannung angelegt, die bewirkt, dass sich Ionen in der Lösung durch die Pore bewegen und einen Ionenstrom erzeugen. Der Kanal ist genau so breit, dass der DNA Strang gerade durch passt. Da jede der vier DNA-Basen unterschiedlich groß ist, wird der Kanal unterschiedlich stark blockiert. Das bedeutet, dass entsprechend mehr oder weniger Platz für Ionen ist, die den Kanal ebenfalls passieren. Deshalb fließt mal mehr, mal weniger Strom durch die Nanopore (2). Der Ionenstrom wird gemessen, die Daten an den Computer übertragen und von einer spezialisierten Software analysiert. Die Messungen werden in Echtzeit in die DNA-Sequenz umwandelt – eine Textdatei mit den Buchstaben A, T, C und G.

Abbildung 2: Darstellung der Funktionsweise eines Nanoporen-DNA-Sequenzierers. Ein DNA-Strang wird durch die Nanopore geleitet, der Ionenstrom wird gemessen und in die DNA-Sequenz übersetzt.
Kerstin Göpfrich
 

Je nachdem, wie viele DNA-Sequenzdaten gesammelt werden sollen, dauert die Sequenzierung nur wenige Minuten oder mehrere Tage. Man kann die Daten analysieren, indem man sie beispielsweise in eine Online-DNA-Datenbank lädt und mit bekannten Sequenzen vergleicht. Auf diese Weise kann man herausfinden, von welcher Spezies die DNA stammt, ob in der Probe Krankheitserreger stecken oder welche Gene vorliegen. Die Nanoporen-Sequenzierung ist bemerkenswert schnell, erzeugt jedoch typischerweise eine geringere Menge an Daten als andere Sequenzierungsmethoden. Analysezentren bleiben daher wichtig, um große Mengen an DNA sequenzieren zu können.

Anwendungsbereiche der Nanoporen-Sequenzierung    

Nanoporen-Sequenzierer eröffnen viele neue Möglichkeiten für die DNA-Sequenzierung. Sie wurden bereits verwendet, um Viren, Bakterien und Parasiten in Krankenhäusern zu identifizieren. Im Jahr 2015 haben Wissenschaftler das erste Sequenzierungs-Set mit nach Westafrika genommen und Blutproben von 142 Patienten während des Ebola-Ausbruchs sequenziert. So konnten sie das Auftreten neuer Vieren-Stämme  verfolgen (siehe Bryk, 2017). Die Wissenschaftler identifizierten die Virus-DNA in den Proben innerhalb von nur 15 Minuten. Darin zeigt sich das Potenzial dieser neuen Technologie zur Überwachung von Epidemien und zur Identifizierung möglicher Angriffspunkte für Impfungen. In Zukunft könnte die Nanoporen-Sequenzierung auch die Diagnose von Krebs beschleunigen, was besonders für aggressive Tumore wichtig ist. Derzeit kann es zuweilen Wochen dauern, bis die DNA-Probe eines Patienten in einem Labor analysiert worden ist.
 

Tragbare DNA-Sequenzierer werden zur Überwachung von Epidemien eingesetzt, wie im Bild während des Zika-Ausbruchs in Brasilien.
University of Birmingham
 

Tragbare DNA-Sequenzierer wurden auch verwendet, um unbekannte Arten in entlegenen Gebieten aufzuspüren – zum Beispiel im Hochgebirge und in der Tiefsee. Doch es geht noch weiter hinaus: Anfang 2018 gaben NASA-Astronauten bekannt, dass sie mittels Nanoporen-DNA-Sequenzierung Mikroben an Bord der Internationalen Raumstation identifiziert haben. Das bedeutet, dass Astronauten möglicherweise selbst Infektionen mithilfe eines Sequenzerierers diagnostizieren könnten, um Krankheiten im All rechtzeitig zu erkennen. Eines Tages könnten Nanoporen-Sequenzierer sogar dazu verwendet werden, DNA auf anderen Planeten zu analysieren.

Mit der gleichen Technologie kann die DNA-Sequenzierung jetzt im Schulunterricht durchgeführt werdenw1 – zum Beispiel wurde die DNA von Früchten in einem Smoothie im Klassenzimmer sequenziertw2. Während die Kosten für tragbare DNA-Sequenzierer für die breite Verwendung noch immer zu hoch sind, eröffnet diese Technologie viele neue Möglichkeiten für Citizen Science und Bildungs-Projekte.

Ethik und DNA Sequenzierung

Tragbare DNA Sequenzierer gibt es bislang nur basierend auf der Nanoporen-Technologie. Zwar kann jeder ein Heim-Gentest-Kit für weniger als 150 Euro bestellen. Dabei wird allerdings nicht jede Base einzeln analysiert, sondern nur bestimmte Gene. Außerdem sind die Ergebnisse manchmal fragwürdig.

Da die Genomsequenzierung durch die Nanoporen-Technologie viel einfacher zugänglich wird, ist es wichtig, sich mit ethischen Fragen auseinander zu setzen. Je mehr DNA wir sequenzieren, desto besser werden wir die gesundheitlichen Auswirkungen genetischer Prädispositionen verstehen. Aber während Gene die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten bestimmter Krankheiten vorhersagen können, entscheidet im Einzelfall oft der Lebensstil. Private Unternehmen vermarkten bereits zweifelhafte „Gesundheitshoroskope“, die auf DNA-Tests basieren. Oft vernachlässigen sie die Komplexität genetischer Daten.

Genomdaten können auch für neue Arten der Diskriminierung missbraucht werden. Könnten beispielsweise Krankenkassen ihre Kunden nach genetischen Profilen auswählen? Dürfen DNA-Daten der Polizei zugänglich gemacht werde? Angesichts der raschen Miniaturisierung von DNA-Sequenzierern könnte im Prinzip jeder ein solches Gerät besitzen und nach Belieben DNA sequenzieren.  Tatsächlich ist ein Smartphone-DNA-Sequenzierer bereits in der Entwicklung. Spuren von DNA hinterlassen wir unwillentlich überall, so dass wir uns zunehmend um die Sicherheit unserer DNA-Daten Gedanken machen müssen.

Wie Computer und Smartphones können auch DNA-Sequenzierer unser Leben verändern – aber wir müssen gemeinsam sicherstellen, dass wir die Chancen dieser Technologie ausnutzen und gleichzeitig die Risiken bestmöglich umgehen.


References

Web References

Resources

Author(s)

Dr. Kerstin Göpfrich ist Wissenschaftskommunikatorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg mit Erfahrung im Bereich Nanoporen-Technologien. Sie hat die Plattform Ring-a-Scientist gegründet, um Wissenschaftlern und Lehrern den Austausch über Web-Videokonferenzen zu ermöglichen.

Dr. Kim Judge ist leitende wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sanger Institut in Cambridge, Großbritannien, und beschäftigt sich mit DNA-Sequenzierung unter Verwendung von Nanoporen und anderen Sequenzierungstechnologien.

Review

Dieser interessante Artikel behandelt eines der Hauptthemen der Biologie: das DNA-Molekül. Insbesondere konzentriert er sich auf eine neue Technik, die eine schnellere und billigere Sequenzierung von DNA mit einem leistungsfähigen, aber kleinen Gerät ermöglicht.

Dieses neue Werkzeug, Nanoporen-Sequenzierung genannt, hat  Potenzial für eine Vielzahl von Anwendungen. Bald könnte es so einfach zu bedienen sein wie Smartphones heute. Die Leichtigkeit, mit der die DNA in der Öffentlichkeit sequenziert werden kann, wirft jedoch wichtige ethische Fragen auf.

Zusammen mit Bildern und Grafiken könnte der Artikel verwendet werden, um molekularbiologische Techniken zu erklären, die beim Sequenzieren der DNA-Doppelhelix eine Rolle spielen. Es kann diskutiert werden, wie die Nanoporen-Sequenzierung frühere Sequenzierungsmethoden ersetzen könnte. Darüber hinaus bieten sich Diskussionen über die ethischen Fragen und Probleme der Privatsphäre in Bezug auf genetische Profile an.

Mögliche Verständnisfragen:

  • Warum verursacht jedes Nukleotid ein anderes Stromsignal in der Nanoporensequenzierungsvorrichtung?
  • Welche Arten von Molekülen könnten dazu beitragen, die DNA durch die Nanopore zu bewegen?
  • Wie funktioniert der DNA-Nanoporen-Sequenzer?
  • Erläutern Sie zwei oder drei neuartige Anwendungen für den Nanoporen-Sequenzierer.
  • Was sind ethische Fragen im Zusammenhang mit der Verwendung von DNA-Sequenzierern?

Ana Molina, Lehrerin für Naturwissenschaften, IES Gil y Carrasco High School, Spanien

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