Bionische Strukturen: von Halmen bis Wolkenkratzer Understand article

Übersetzt von Christin Schmidt. Ein Grashalm und ein hoher Turm müssen beide gegen die Kräfte standhalten, die ihnen drohen sie niederzureißen. Gibt es irgendwelche Design-Prinzipien, die sie nutzen können um dies zu erreichen?

Was hat der Eiffelturm mit einem Weizenhalm gemeinsam? Offensichtlich nicht die Größenordnung – aber wenn wir uns genauer ihre innere Struktur anschauen, dann haben sie viel gemeinsam. Gustave Eiffel’s ikonische Struktur, die das neue Zeitalter von Eisen als Baumaterial verkündete, war gelungen weil er es geschafft hat eine Struktur zu bilden, die solide und dennoch leicht war. Wie der Turm muss der Weizenhalm aufrecht stehen bleiben, trotz Wind und Wetter, während es minimale Materialien nutzt. Die Design-Lösung ist in beiden Fällen die Gleiche: die unterliegende Struktur ist hohl und röhrenförmig statt solide, dabei behält es die größte Stärke ohne grosses Gewicht.  

Weizenhalme sind einzigartig im Bereitstellen von schlauen, natürlichen Lösungen für ein Technik-Problem. Tatsächlich ist dies jetzt ein Bereich des Technik-Studiums mit ihrem eigenen Namen: Konstruktionsbionik.

Der vorgeschlagene Nachhaltigkeits-Pavillon der 2020 Welt-Expo, Dubai. Inspiriert von Pflanzen in beidem, Form und Funktion, die Pavillon-Struktur ist designt um die Energie von Sonnenlicht, und das Wasser aus der feuchten Luft einzufangen.
Mit freundlicher Genehmigung von Grimshaw Architekten

Was ist Konstruktionsbionik

Konstruktionsbionik ist ein Teil der Wissenschaft der Bionik. Ihre Hauptfunktion ist es Strukturen und biologische System zu identifizieren, die nützlich auf technische Konstruktionen angewendet werden können. Das Ziel ist es die Menge an genutzten Materialien und Energien zu reduzieren, und somit mehr nachhaltige Designprinzipien zu kreieren – eine sehr 21. Jahrhundert-Ambition.

In Konstruktionsbionik dienen leichtgewichtige Konstruktionen aus der Natur als Inspiration für technische Lösungen. Genau wie der Eiffelturm konstruiert wurde durch das Nutzen der Prinzipien von hohlförmigen Röhren (wie auch manche Knochen im menschlichen Körper), so können biologische Strukturen Modelle für die Entwicklung von neuem Gebäudematerial und Designs bereitstellen.

Gras: Widerstandskraft durch Struktur

Die Grasfamilie (Poaceae, ehemals Graminaceae) hat der Konstruktionsbionik viel zu bieten mit seinen langen, dünnen Stielen die hohen Widerstand gegen Biegen und Brechen mit minimalem Nutzen von Material kombinieren. Es lohnt sich einen genaueren Blick darauf zu werfen wie Gräser dies erzielen.

Abbildung 1: Mikroskopisches Bild eines Querschnitts eines Weizenstiels. A: Sklerenchym; B: Gefäßgewebe; C: Parenchym
Mit freundlicher Genehmigung von Sabrina Pulka
 

Ein Querschnitt eines Weizenstiels (Triticum spp.) unter dem Mikroskop zu betrachten offenbart die Erklärung für die mechanische Widerstandskraft von diesem Mitglied der Grassfamilie (Speck & Speck, 2006). Eine äußere Schicht von hartem, lignifizierten (hölzernem) Gewebe, genannt Sklerenchym, wird gestärkt durch das Innere durch den Druck von anderen Geweben, wie das Gefäßgewebe und Parenchym (Abbildung 1). Die gesamte Struktur formt einen Zylinder mit dem stärksten Gewebe an der Aussenseite.

Aber die Pflanze hat eine andere geheime Quelle von Stärke: hinter der äußeren Wand des Stiels ist ein Fasergemisch-Material. Lignifierte Fasern sind in die weicheren, inneren Gewebe eingebettet, ein Material das eine Struktur ähnlich zu verstärktem Zement formt – ein Mischmaterial gemacht aus einer Betonmatrix durchzogen mit Stahleinlagen.

Jedoch erhöht diese Kombination von verschiedenen Materialien das Risiko für intensive Kräfte, wie starker Wind, die den Stiel auseinanderreißen können, kann eine Schicht von einer anderen wegbrechen, wenn der Stiel sich biegt. Deswegen ist die Wand des inneren Stiels in der Form eines Gradienten konstruiert, in der verschiedene Eigenschaften, wie Zellgröße und Zellwanddicke, schrittwiese wechseln und flüssig ineinander übergehen, und macht somit das Mischmaterial mehr stabil (Abbildung 1).

Bambus: Bauen mit Gras

Natürlich ist das Mitglied der Grasfamilie, das wir als Erstes als nützlich finden für Konstruktionen  Bambus. In Asien ist Bambus oft als Baumaterial oder als Gerüst genutzt, sogar für Hochhäuse, aufgrund ihrer exzellenten mechanischen Eigenschaften.

Obwohl Bambuspflanzen (Bambusoideae-Unterfamilie) Gräser sind, ist ihre Größe ausserordentlich. Manche Spezien, wie der Riesenbambus (Dendrocalamus giganteus), können eine Höhe von 30 m erreichen und 1 m pro Tag wachsen. Dennoch ist ihre Struktur ähnlich der der anderen Pflanzen: sie haben Wurzeln, ein Stengel, Blätter und Blüten.

Abbildung 2: Struktur einer Bambuspflanze (links); längslaufender Schnitt durch einen Riesenbambus-Stengel (rechts).
A: Blattansatz; B: Blüte; C: Blätter, D: Wurzel
Mit freundlicher Genehmigung von Sabrina Pulka
 

Wie auch andere Graspflanzen hat Bambus einen hohlen, zylinder-förmigen Stengel mit Blattansätzen entlang seiner Länge (Abbildung 2). Die Blattansätze, die den Stamm in Segmente teilen, bestehen aus verdickten Wänden die sich entlang des Inneren des Stammes ausweiten. Diese stärken die Struktur durch das Verhindern des Kollabierens unter einer seitlichen Kraft. Wenn der Stamm ein komplett hohles Rohr wäre, würde jeder lateraler Druck dazu führen es zuerst oval zu formen und dann komplett abzuflachen; der abgeflachte Teil könnte dann brechen und knicken. Die Blattansätze liefern Unterstützung gegen den Druck der angewandten Kräfte (Mattheck, 2004; Speck & Speck, 2006).

Der Shanghai Bionik-Turm

Der vorgeschlagene Bionik-
Turm in Shanghai, China –
eine bionische Konstruktion
der Zukunft?

Mit freundlicher Genehmigung
von Eloy Celaya / © Eloy Celaya

Ein futuristisches Architektur-Projekt, das die Inspiration der Natur bis ins Extreme treibt ist der geplante „Bionik-Turm“ in Shanghai, China. Wenn gebaut, diese visionäre Konstruktion wäre bei Weitem das höchste Gebäude der Welt mit 1228 m Höhe und 300 Stockwerke umfassend. Das Design zielt darauf die Strukturen, gefunden in der Natur, zu kopieren – nicht nur für den Turm selbst, sondern auch für sein Fundament. Ein ausgedehntes Netzwerk aus Verankerungen, als Imitation von Baumzweigen, würde das Fundament ersetzen mit dem Ziel einen besseren Schutz zu bieten gegen Erdbeben und quer gerichtete Kräfte durch hohe Winde.

Nach Aussage des Architekten Eloy Celaya zieht die extreme Höhe des Gebäudes die Natur in einer anderen Weise in Betracht: durch das Bereitstellen von Wohnraum für bis zu 100.000 Bewohnern in einer kompakten Grundfläche von nur 166 m x 133 m, solche Türme könnten die Größe an gebrauchter Fläche, um eine wachsende Weltbevölkerung unterzubringen, reduzieren und so potentiell erlauben, dass mehr Naturflächen der Welt geschützt werden.

Bionische Konstruktion im Klassenzimmer

Wir haben ein paar Klassenzimmer-Aktivitäten über Konstruktions-Bionik entwickelt, die für die späte Grundschule und frühe Mittelstufe geeignet sind. Diese Experimente helfen Studenten, die in diesem Artikel diskutierten Design-Prinzipien, für sich selbst zu entdecken. Arbeitsblätter und Anleitungen für Lehrer können unter im zusätzlichen Materialabschnitt runtergeladen werdenw1.

In der ersten Aktivität (Testen der Stabilität von Bambus und Holz) vergleichen die Schüler die Kraft und Härte von massivem Holz und Bambus durch das aufladen von mehr und mehr Gewicht auf Stöcke beider Materialien und messen dann ihre Durchbiegung. Schüler werden feststellen, dass ein hohler Bambusstock weniger durchbiegt als ein solider Holzstock.

In der zweiten Aktivität (Seile und Zylinder) untersuchen die Schüler warum Bambus so stark und steif ist durch das Anschauen des Längsschnittes eines Bambusstockes, mit den Stängelknoten und Internodien. Sie untersuchen dann, wie die Stängelknoten die Stabilität des ganzen Stockes erhöhen, indem sie Papierstreifen nutzen und sie in die Innenseite einer Pappröhre kleben.

Diese simplen Demonstrationen können nachverfolgt werden mit weiterem Recherchen oder Diskussionen über Konstruktionsbionik, vielleicht durch das Fokussieren auf den Fantasie-ähnlichen Bionik-Turm oder anderen futuristischen, bionischen Architektur-Strukturen.


References

  • Mattheck JK (2004) Das [Wohn-] Hochhaus. Hochhaus und Stadt. Vienna, Austria: Springer-Verlag

  • Speck O, Speck T (2006) Eine Fundgrube für die Bionik – Wunderwelt Pflanzen. In Büchel G, Malik F (eds) Faszination Bionik: Die Intelligenz der Schöpfung pp. 322-335. München, Germany: Bionik Media

Web References

  • w1 – Laden Sie die unterstützenden Klassenraum-Aktivitäten vom zusätzlichen Materialabschnitt runter.

Resources

Author(s)

Professor Claas Wegner ist ein leitender Lehrer für Biologie und Sport an einer Sekundärschule, ein Dozent für den Fachbereich Biologie an der Universität Bielefeld, Deutschland, wo er auch ein Professor für Biologiedidaktik ist.

Lea Minnaert beendete eine Lehrausbildung in Biologie und Englisch an der Universität Bielefeld und unterrichtet jetzt an einer Sekundärschule.

Sabrina Pulka beendete eine Lehrausbildung in Biologie und Chemie an der Universität Bielefeld und unterrichtet jetzt an einer Sekundärschule.

Stephanie Ohlberger studierte Biologie und Englisch für Sekundärschulen und ist derzeit ein Doktorstudent an der Universität Bielefeld, und arbeitet in bilingualem Unterrichten von Biologie.

Review

Was für eine großartige Weise, um Lehrplan-übergreifende Ideen einzuleiten und Schüler über Pflanzenbiologie und Ingenieurwesen zu begeistern. Die Idee, das Gebäude der Zukunft auch durch Wissen und Verstehen von Pflanzenstruktur und Funktion inspiriert werden können, kann helfen die Profile von vielen Wissenschaftsverwandten Studien – von Botanik bis Architektur – in den Köpfen der Schüler hervorzuheben.

Nicht nur kann der Artikel für Hintergrundlesen und Verständnisübungen genutzt werden, sondern auch die zwei vorgeschlagenen Klassenraum-Aktivitäten erlauben es den Schülern ein paar Ideen auszuprobieren. Keine der Aktivitäten benötigen viel im Sinne von speziellem Equipment, aber sie geben den Schülern die Möglichkeit Materialien für sich selbst zu untersuchen und grundlegende Konstruktionen zu üben. Die Aktivitäten können zu größeren Projekten erweitert werden, vielleicht für eine Wissenschaftsmesse oder ‚STEM‘(science, technology, engineering and mathematics)-Untersuchung.

Fragen über den Artikel können beinhalten:

  • Der Artikel erklärt das Konstruktionsbionik eine Branche von der Wissenschaft der Bionik ist. Welche anderen Branchen der Bionik könnte es geben?

  • Zwei Beispiele der Grässerfamilie sind im Artikel beschrieben, Weizen und Bambus.

    1. Warum sind Mitglieder der Grässerfamilie besonders nützlich für die Konstruktionsbionik?

    2. Wieviele andere Pflanzen kannst du benennen, die zu der Grässerfamilie gehören?

    3. Grässer sind Monokotyledone. Was bedeutet „Monokotyledon“?

  • Der Artikel schlägt vor das Winde die Materialien des Weizenstengels auseinander reissen können. Welche Kräfte könnten involviert sein, wenn Winde an einem Weizenstengel agieren.

Dr Sue Howarth, Vereinigtes Königreich

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