Auf die richtige Bewegung kommt es an Von Sarah McLusky Understand article
Übersetzt von Korinna Kochinke Zellbewegungen sind wichtig sowohl bei Krankheit als auch bei Gesundheit, aber ihre Geschwindigkeit ist ausschlaggebend für das 2013er „World Cell Race“, das von Daniel Irimia organisiert wurde.
Es mag nicht der spannendste Sport für Zuschauer sein, aber das World Cell Race ist für Biologen das Äquivalent zur Olympiade. Das diesjährige Rennen hat eine Brustkrebszelllinie gewonnen, die eine Spitzengeschwindigkeit von 50 μm.h-1 erreichte. Vielleicht klingt es frivol, aber das Verständnis der Motilität von Zellen, oder ihrer Fähigkeit, sich zu bewegen, ist maßgeblich für Gesundheit und Krankheit. Die Beweglichkeit der Zellen ist ein Faktor bei Krebs, Immunreaktion, Wundheilung und Embryonalentwicklung, sowie weiteren biologischen Funktionen. Trotzdem verstehen Wissenschaftler diesen Prozess bislang noch nicht vollständig und es gibt auch keine Medikamente, die Zellbewegungen spezifisch beschleunigen oder verlangsamen können.
Zellen müssen sich aus verschiedenen Gründen bewegen – um Nahrung zu finden, um Gefahren abzuwenden, um einer unwirtlichen Umgebung zu entkommen oder um eine neue zu kolonisieren. Einige Zellen, darunter auch Spermien und viele Bakterien, können durch ihre schwanzähnlichen Flagellen schnell schwimmen.
Andere Zellen, wie die, die an dem Rennen teilgenommen haben, bewegen sich weit weniger dramatisch, in dem sie mit ihrer Membran Ausstülpungen formen (diese nennt man Pseudopodia oder Scheinfüßchen). Dies ist ein bisschen so, als würden sie mit einem Finger greifen, mit dem sie sich an dem Untergrund anheften und dann den restlichen Zellkörper hinterherziehen (siehe Abbildung 1). Eine Zelle, die sich auf diese Weise fortbewegt, kann normalerweise innerhalb einer Stunde eine Distanz von 1-2 Körperlängen zurücklegen. Um dies in Relation zu setzen: einen Schnecke bewegt sich ungefähr mit einer Geschwindigkeit von 20 Körperlängen pro Stunden; Usain Bolt rannte mit einem Äquivalent von 18 000 Körperlängen pro Stunde bei seinem rekordsprengenden Sprint bei den Olympischen Spielen 2012.
Diese Art der Bewegung mag nicht schnell sein, aber sie ist extrem wichtig. So ermöglichen zum Beispiel präzise aufeinander abgestimmte Zellbewegungen während der Embryonalentwicklung die Bildung der unterschiedlichen Keimblätter, welche schließlich die Organe, Organsysteme und Körperteile hervorbringen. Fehlerhafte Zellwanderung während der Embryonalentwicklung kann zu einer ganzen Reihe von Beeinträchtigungen und Geburtsfehlern führen, darunter auch Spina bifida. Anderswo im Körper werden Wunden geheilt, in dem spezialisierte Stammzellen in den Bereich der Verwundung einwandern um Blutgefäße zu regenerieren, das Gewebe zu verknüpfen und neue Haut zu bilden.
Das World Cell Race 2013
Die ‘Rennbahn’ ist ein komplexer Irrgarten aus gerade einmal 10 µm weiten Kanälen, die auf einer speziell angefertigten Platte liegen. Diese wurden mittels eines Mikroherstellungsverfahrens namens Soft Lithographie gefertigt und die Labyrinthwänden bestehen aus Silikon, einem inerten Material das zu präzisen und komplexen Formen modelliert werden kann.
Labore von der ganzen Welt wurden eingeladen, eine Probe ihrer schnellsten Zellen zur Aufnahme für das Rennen zu schicken. Die Zellen wurden mit einem ungiftigen blauen Farbstoff gefärbt um sie besser sichtbar zu machen und dann an einem Ende des Labyrinthes platziert.
Die meisten Zellen bewegen sich nur als Reaktion auf einen bestimmten Reiz – z.B. auf einen Nährstoff zu – aber die Teilnehmer dieses Rennens waren ausschließlich Krebszellen, die selbstgesteuerte Bewegungen in die Labyrinthkanäle machen und sich normalerweise schneller bewegen als gesunde Zellen.
Die Platten wurden alle 15 Minuten über 24 Stunden fotografiert und gewonnen hatte die Zellkultur, die mit den meisten Zellen das andere Ende der 600 µm langen Rennbahn erreicht hatten. Du kannst einige der Zellen in Aktion auf der Webpage des World Cell Race 2013 w1sehen. Die siegreiche Zellkultur, die Brustkrebszelllinie namens MDA MB 231 S1, war absolut nicht die schnellste, aber getreu der klassischen Fabel „Die Schildkröte und der Hase“ bewegte sie sich konstant während des Rennens. Eine Sarkom-Zelllinie (Krebs des Bindegewebes, MFH 137), startete langsam, aber bewegte sich letztlich am schnellsten; jedoch erreichten weniger Zellen die Ziellinie, was sie zur Zweitplatzierten machte.
Das World Cell Race wird nunmehr im dritten Jahr durchgeführt. In dem jüngsten Wettbewerb ließen die Veranstalter die Zellen durch Labyrinthe mit Ecken und Sackgassen antreten, um nicht nur die Schnelligkeit der Zellen, sondern auch ihre Intelligenz’ zu testen. Diese Anordnung entspricht eher dem, was im lebenden Körper pa‚ssiert, denn hier müssen sich die migrierenden Zellen durch Zellzwischenräume quetschen und sich im dreidimensionalen Raum orientieren.
In Krankheit wie auch in Gesundheit
Es ist nicht weiter überraschend, das eine Brustkrebszelle bei diesem Wettbewerb gewonnen hat. Krebszellen gehören zu den sich am schnellsten bewegenden Säugetier-Zellen. In einem Prozess den man Metastasis nennt, tendieren Tumore dazu, sich vom Platz ihres Ursprungs aus zu verbreiten und wachsen dann in anderen Bereichen des Körpers weiter. Während sich andere bewegliche Zellen auf einen Reiz (z.B. Nährstoffe oder Licht) zu- oder wegbewegen vollführen Krebszellen selbst organisierte Bewegungen, um schmalen Räumen zu entkommen und sie scheinen kein Ende zu finden. Die Krebszelle eines Brusttumors kann sich innerhalb nur eines Monats im 10 cm vom Primärtumor entfernten Lymphknoten einnisten. Tumore, die sich bereist ausgebreitet haben, sind viel schwieriger zu behandeln und oftmals tödlich, weswegen es Leben retten könnte, wenn wir die Bewegung von Krebszellen endlich verstehen und Wege finden könnten, diese zu stoppen.
Andererseits könnte es andere Situationen geben, in denen es vorteilhaft sein könnte, Zellen dazu anzuregen, sich schneller zu bewegen. Weiße Blutkörperchen sind Schlüsselelemente unserer Immunreaktion. Sie bewegen sich schnell zu Infektionsherden um Mikroben einzuhüllen und zu zerstören, wobei sie aktiv den kürzesten Weg wählen, um ihr Ziel zu erreichen. Patienten mit schweren Verbrennungen sind anfälliger für Infektionen, da ihre weißen Blutkörperchen augenscheinlich ihren inneren Kompass verlieren und sich nicht mehr orientieren können, so dass sie ihr Vorwärtskommen zum Pathogen verlangsamen. Darum wären Medikamente, die sowohl die Geschwindigkeit als auch die Zielgenauigkeit von weißen Blutkörperchen fördern, sehr nützlich, um Infektionen zu verhindern und zu behandeln.
Allerdings ist es nicht immer ratsam, die Antwort von weißen Blutkörperchen anzuregen. Bei chronischen Entzündungen, wie z.B. Gelenkrheumatismus oder Asthma, fehlinterpretieren weiße Blutkörperchen chemische Signale und wandern in gesundes Gewebe, wo sie Schmerzen, Entzündungen und Schäden verursachen. In diesen Fällen wäre es besser, einen Weg zu finden, die Zellwanderung zu unterdrücken.
Es gibt nach wie vor noch große Lücken in unserem Verständnis davon, wie und warum sich Zellen bewegen. Daniel und seine Mitorganisatoren hoffen, dass das World Cell Race ein Bewusstsein dafür schafft, von welcher Wichtigkeit das Bewegungsvermögen von Zellen ist und dass es größere Kooperationen zwischen Biologen und Ingenieuren fördert. Des weiteren hoffen sie, dass ihre Methodik dazu führt, standardisierte Methoden zur Messung der Beweglichkeit von Zellen zu entwickeln, so dass das Ausmaß, mit dem Medikamente oder andere Mittel diese Bewegung kontrollieren, einfacher untersucht werden können.
Nach jedem Rennen evaluieren die Teilnehmer ihre Performanz und beginnen, den nächsten Wettbewerb zu planen. Die Organisatoren haben bereits den Termin für das nächste World Cell Race festgesetzt: 14 November 2014. Im nächsten Rennen werden weiße Blutkörperchen ebenfalls teilnahmeberechtigt sein und neben Krebszellen zum epischen Kampf Gut gegen Böse antreten. Der sich schnell bewegende Schleimpilz Dictyostelium discoideum wird sein eigenes Rennen am 21. März 2014 austragen. Für Updates kannst Du Dich auf der World Cell Race-Websitew1 eintragen.
Wenn Du selbst Zellbewegung im Klassenraum erforschen möchtest, sind Schleimpilze, insbesondere Dictyostelium, oder weiße Blutkörperchen ein guter Anfang. Dictyostelium wächst schnell und kann auf Nährboden bei Raumtemperatur leicht gehalten werden. Weiße Blutkörperchen sind unter einem typischen Schulmikroskop gut sichtbar und Pferdeblut kann von vielen Schulbedarfs-Firmen bezogen werden.
Versuche, eine Probe von Dictyostelium oder Pferdeblut unter das Mikroskop zu legen und mache in regelmäßigen Abständen Bilder mit einer fixierten Kamera. Vergleiche die Bilder um zu sehen, ob Du sehen kannst, wie sich die Zellen bewegen. Du kannst Bewegung anregen, wenn Du eine schwache Wärmequelle, wie z.B. eine Schreibtischlampe mit Glühbirne, auf eine Seite des Objektträgers installierst, denn beide Zelltypen reagieren auf Wärme (Thermotaxis) und Dictyostelium auch auf Licht (Phototaxis).
Web References
- w1 – Weitere Information über das World Cell Race 2013, findest Du auf deren Webseite.
Resources
- Videos von dem Rennen und anderen, sich schnell bewegenden Zellen gibt es auf Daniel Irimia’s Youtube channel zu sehen..
- Um mehr über die vorherigen World Cell Races zu erfahren, besuche die Website des Rennens von 2011.
Review
Dieser unterhaltsame Artikel widmet sich einem fundamentalen Thema tierischer Zellen: Beweglichkeit. Obgleich es wohlbekannt ist, dass sich tierische Zellen fortbewegen können, ist die profunde Kenntnis der Zellbewegung „wirklich wichtig für Gesundheit und Krankheit“, wie der Autor behauptet. Hier haben wir eine wertvolle Ressource um mehr über die Beweglichkeit mittels einer kurzweiligen und inspirierenden Herangehensweise zu lernen. Die Idee des World Cell Race könnte uns für einen Moment stutzig machen, aber wir begreifen sofort seine Tragweite und Bedeutung. Das Thema dieses Artikels bezieht sich auf andere wichtige biologische Gebiete, wie Immunologie, Embryonalentwicklung und Krebs.
Der Artikel könnte auch dazu dienen um Diskussionen anzuregen über die tägliche Arbeit von Wissenschaftlern, den Wissensaustausch zwischen Laboren und neue Technologien, die es ermöglichen, die Geschwindigkeiten unterschiedlicher Zelllinien zu bestimmen und zu vergleichen.
Geeignete Verständnisfragen könnten sein:
- Warum ist die Erforschung von Zellbewegung von Bedeutung?
- Was ist der Zusammenhang zwischen Zellbeweglichkeit und Zellwanderung?
- Was ist das Ziel des Word Cell Races?
- Warum ändert sich die Form der Rennbahn beim World Cell Race von einem Jahr aufs andere?
- Nenne einige Beispiele von Zellen, bei denen es für Forscher von Vorteil wäre, ihre Beweglichkeit zu stoppen oder zu fördern.
- Einige Zellen zeigen selbstmotivierte Bewegung und scheinen keinen Reiz zu brauchen. Welche Zellen sind das? Warum glaubt man, dass sie ein Problem darstellen?
- Wie würdest Du die Auswirkung eines Medikamentes auf Zellbeweglichkeit nachweisen, wenn Du die Rennbahn benutzen würdest?
Ana Molina, IES Gil y Carrasco, Spanien