Das Geheimnis des Altruismus Understand article
Übersetzt von Judith Förster. Existiert wahrer Altruismus? Und kann die Wissenschaft eine Antwort geben?
Der Ursprung von Freundlichkeit ist ein Geheimnis. Wie entstanden Schenken und Altruismus? Wurden sie im Laufe der natürlichen Selektion vererbt – ist es ein Geschenk, welches uns gewidmet wurde durch einen kriechenden, evolutionären Marsch von sich opfernden Amöben, selbstlosen Pinguinen und wohltätigen Pavianen? Oder ist Altruismus eine einzigartige Raffinesse, ein einzelner menschlicher Triumph über „die Natur des Fressens und gefressen werden“? Charles Darwin nannte es das größte Rätsel und seither versuchen Denker dieses zu lösen.
Hier ist das Geheimnis: Wenn die Evolution ein Prozess ist, bei dem der Fitteste überlebt und Altruismus dafür sorgt die Fitness zu mindern, warum sieht man dann überall in der Natur altruistisches Verhalten? Betrachten Sie die Honigtopfameise in der amerikanischen Wüste, die kopfüber, wie ein riesengroßer Topf mit Zuckerwasser hängt und dauernd darauf wartet von der Königin und ihren Nachkommen angezapft zu werden, wenn diese Durst haben; oder Gazellen, die auffällig auf und ab hüpfen um ihrer Herde zu signalisieren, dass ein Löwe im Gras lauert; oder auch das Gelbe Springkraut (Impatiens pallida),welches kaum vorhandenes Sonnenlicht nicht für sich beansprucht, indem es Blätter produziert, sondern in Stämme und Wurzeln investiert, um das Sonnenlicht mit anderen zu teilen. Dieses sind nur ein paar der vielen Beispiele aus der Welt der Natur.
Biologischer Altruismus ist definiert durch das Ergebnis einer Handlung: Wenn eine Amöbe so handelt, dass sie ihre eigene Fitness verringert während dadurch eine andere einen Fitnessvorteil hat, dann ist das Altruismus. (Von bestimmten Arten sozialer Amöben ist bekannt, dass sie sich selbst für ihre Brüder aufopfern.) Auf der anderen Seite ist menschlicher oder psychologischer Altruismus abhängig von einer Absicht: Wenn ich einer alten Frau über die Straße helfe mit dem heimlichen Gedanken in ihr Testament geschrieben zu werden, dann gilt das nicht Altruismus, auch nicht, wenn man während dessen von einem LKW überfahren wird. Dennoch, gibt es einen Zusammenhang zwischen altruistischem Verhalten von Amöben und Menschen? Im Endeffekt ist es das durch die Evolution entstandene, menschliche Gehirn welches uns Selbstlosigkeit ermöglicht, genau wie bei Handlungen von kleinen hirnlosen Amöben.
Seit Darwin und eigentlich schon früher, versuchen wir dieses Rätsel zu lösen. Besonders interessiert hat uns ob Altruismus überhaupt existiert. „Kratze einen Altruisten und sieh einen Egoisten bluten“ ist eine Philosophie. Ist es das, wie wir das Leben der Nobelpreisträger Albert Schweizer und Mutter Theresa erklären sollten? Oder einen Soldaten, der in den Graben springt, um seinen Kumpel zu schützen? Zyniker würden sagen, dass, ob bewusst oder nicht, Aufopferung immer getrieben ist durch verborgene Motive.
Die Geschichte lehrt uns, dass wir, wenn wir den Zusammenhang von Natur und Moral betrachten, oft über etwas stolpern, dass Humes Guillotine genannt wird (beschrieben durch den schottischen Philosophen David Hume [1711-1776]) und oft fälschlicher Weise als „der natürliche Irrtum“ bezeichnet wird. Das ist der störende Fehler zwischen dem was ist und dem was sein sollte: oder, was wir in der Natur beobachten nutzen wir als Regel für unser eigenes Verhalten (Hume, 1739). Das ist wichtig wenn es um Altruismus geht, da die Wissenschaft, seit Darwins Zeiten, eine Anzahl von Erklärungen für die Evolution der opfernde Eigenschaften geliefert hat.
Eine dieser Erklärungen ist der Nepotismus: Je höher der gentische Verwandtschaftsgrad, desto höher die Wahrscheinlichkeit von Altruismus. Das wurde rechnerisch durch den britischen Evolutionsbiologen Bill Hamilton formuliert, der behauptete, dass ein genetisches Merkmal für Altruismus sich in einer Population verbreiten sollte, wenn
rB > C
wobei r der genetische Verwandtschaftsgrad von zwei Individuen ist, B der Reproduktionsvorteil entstanden durch den Empfänger des altruistischen Verhaltens und C sind die Reproduktionskosten des Individuums, welches das altruistische Verhalten ausführt (Hamilton, 1964a, 1964b). Bedeutet dies, dass es natürlich ist Verwandten zu helfen, aber unnatürlich Fremden zu helfen?
Möglicherweise nicht. Eine andere Erklärung ist die einfache Wechselwirkung: Ein Individuum sollte einem anderen helfen in der Erwartung selbst Hilfe zurück zu bekommen. Im Bezug darauf ist es eine Vertrauensangelegenheit: Wenn ich anderen nicht signalisieren kann, dass ich vertrauenswürdig bin, werde ich in einer Welt, in der es auf Kooperation ankommt, nicht überleben können.
Die dritte Erklärung ist die Gruppenselektion: Die Gruppen, die Altruismus als einen sozialen Kleber nutzen um den Zusammenhalt zu festigen werden Gruppen von Nicht-Kooperativen überlegen sein.
Aber lassen diese Erklärungen Raum für wahren Altruismus? Die Erklärungen befriedigen Skeptiker, die alle völlig abhängig von der Logik der Egoismus sind: Es lohnt sich anderen oder auch einer Gruppe zu helfen, wenn es dir einen Vorteil verschafft. Und wenn es das ist was Modelle und Theorien zeigen, unterstützt durch empirische Beobachtungen, ist Altruismus vielleicht nur ein Traum. Viel gefährlicher ist aber die Idee, dass, wenn wir nur noch aus selbstsüchtigen Gründen altruistisch handeln, wir noch nicht einmal versuchen sollten wie wahre Altruisten zu handeln.
Ein Wissenschaftler der versucht hat das Rätsel des Altruismus zu lösen war der US Populationsgenetiker George Price. Durch die Herleitung einer Gleichung in den späten 1960ern, die später nach ihm benannt wurde, kam Price zum Glauben, dass, wenn Altruismus durch Mathematik erklärt werden könnte, er kein wahrer Altruismus wäre. Selbstlosigkeit war immer eigennützig – das glaubte er erklärt seine Gleichung (Price, 1970).
Für George Price war dies eine schreckliche Erkenntnis und er ließ sich herab, wie ein Engel, zu den heimatlosen Menschen in London, UK, entschlossen ebendiese Mathematik, welche er aufgestellt hatte, zu widerlegen. Am Ende, nachdem er alle Besitztümer hergegeben hatte, wurde er selbst obdachlos und beging 1975 in einem kalten, besetzen Haus in London Selbstmord.
Die Wissenschaft ein starkes Hilfsmittel um die Welt zu verstehen. Mit Hilfe der Neurogenetik und funktionaler Magnetresonanztechnik wird versucht die Gene für Altruismus zu finden und die Gehirnstrukturen, die bei altruistischen Verhalten eine Rolle spielen (Churchland, 2011). Aber genau deswegen müssen wir uns an das Schicksal von George Price erinnern: Seine Geschichte ist die Personifikation des Altruismus-Paradoxons. Es zeigt, dass die Hilfsmittel der Wissenschaft abhängig von der Art der Frage, die uns interessiert, nicht immer relevant sind, zum Beispiel, wenn es darum geht wie wir uns Verhalten. Wenn wir in der Lage sind alle wissenschaftlichen Fragen, die wir aufstellen, zu beantworten, können wir dann alles Verstehen was wir wollen? Die Geschichte von George Price zeigt uns, dass die Antwort auf diese Frage „nein“ ist.
Danksagung
Dieser Artikel ist angelehnt an einen früheren Artikel von Oren Harmanw1, welcher auf der Forbes Webseite veröffentlich wurde.
References
- Churchland P (2011) Braintrust: What Neurobiology Tells Us About Morality. Princeton, NJ, USA: Princeton University Press. ISBN: 9780691137032
- Hamilton WD (1964a) The genetical evolution of social behaviour I. Journal of Theoretical Biology 7(1): 1-16. doi: 10.1016/0022-5193(64)90038-4
- Hamilton WD (1964b) The genetical evolution of social behaviour II. Journal of Theoretical Biology 7(1): 17-52. doi: 10.1016/0022-5193(64)90039-6
- Harman O (2010) The Price of Altruism: George Price and the Search for the Origins of Kindness. New York, NY, USA: W.W. Norton. ISBN: 9780393067781
- Hume D (1739) A Treatise on Human Nature. Cheapside, UK: John Noon
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Der Text ist online frei verfügbar über Project Gutenberg.
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- Price GR (1970) Selection and covariance. Nature 227: 520-521. doi: 10.1038/227520a0
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Web References
- w1 – Dieser Artikel basiert auf einem Artikel von Oren Harmann auf der Forbes Webseite.
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Auch auf der Forbes Webseite: Ein Video von Oren Harman, in welchem die Geschichte hinter seinem neusten Buch, The Price of Altruism, diskutiert wird.
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Resources
- Der Philosoph Elliott Sober und der Biologe David Sloan Wilson versuchen Altruismus, Evolution und Psychologie zusammenzufügen mit den wissenschaftlichen Entdeckungen die die Natur als grausam erscheinen lassen.
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Sober E, Wilson DS (1998) Unto Others: The Evolution and Psychology of Unselfish Behavior. Cambridge, MA, USA: Harvard University Press. ISBN: 978-0674930476
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- Um herauszufinden warum der Psychologe Steven Pinker nicht die Idee der Gruppenselektion unterstützt, könne Sie folgendes Essay lesen: ‘The false allure of group selection’.
Review
Altruismus ist ein Verhalten, welches bei vielen Arten von Organismen beobachtet wir und trotzdem ist es noch ein großes Rätsel. Oren Harman erklärt in diesem Artikel die plausiblen Gründe für Altruismus und ob wahrer Altruismus bei Menschen vorkommt.
Dieser Text ist nicht ausschließlich ein wissenschaftlicher Text, sondern kann auch im Sozialkundeunterricht verwendet werden. Er kann als Grundlage für eine Diskussion über viele Themen dienen, die Wissenschaft und soziale Studien verknüpfen: z.B. natürliche Selektion und Altruismus; die genetischen Grundlagen des Altruismus; Altruismus und Gruppenfitness; und die mathematischen Formeln zur Erläuterung des Altruismus. Dieser Artikel ist für alle Altersstufen auf weiterführenden Schulen, besonders im Alter von 15-19 Jahre.
Dieser Artikel kann in einer weitreichenden Aufgabe genutzt werden, die folgende Fragen enthalten könnte:
- Warum wird Altruismus als ein Verhalten bezeichnet, welches die Fitness eines Individuums reduziert?
- Warum glauben manche Personen, dass es wahren Altruismus beim Menschen nicht gibt?
- Altruismus ist ein Verhalten, welches bei der Gruppenselektion eine Rolle spielen könnte. Bestätigen Sie diese Idee anhand eines Beispiels.
- Was bedeutet: „Wenn Altruismus mathematisch erklärt werden kann, dann war es niemals das wonach es aussah.“
Michalis Hadjimarcou, Cyprus