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Übersetzt von Veronika Ebert, Höhere Bundeslehr- und versuchsanstalt für chemische Industrie, Wien. Hier erfahren Sie, wie Sie wissenschaftliche Fachartikel im Naturwissenschaftsunterricht nutzen können.
Wissenschafter/innen publizieren wissenschaftliche Artikel um ihre Forschungsergebnisse und wissenschaftlichen Theorien zu veröffentlichen. Diese Artikel sind nicht nur Tatsachenberichten über experimentelle Arbeiten, sondern die Autoren/innen versuchen auch, die Leser/innen von ihrer Argumentation zu überzeugen. Da Originalartikel immer öfter kostenlos als frei zugängliche Veröffentlichungen im Internet verfügbar sind, ist es einfach wie noch nie, Forschungsarbeiten nachzulesen, die die Basis für wissenschaftliche Berichte in den Medien sind.
Die Lektüre wissenschaftlicher Artikel bietet Oberstufenschüler/innen folgende Lerngelegenheiten:
Wissenschaftliche Artikel zu lesen kann für Schüler/innen zwar sehr mühsam, aber zugleich sehr anregend sein. Im Anschluss finden Sie ein Unterrichtsbeispiel, mit dem 15-16-jährige und ältere Schüler/innen unterrichtet worden sind. Es beschäftigt sich mit der Struktur des Textes (Abschnitt 1) und seiner argumentativen Struktur (Abschnitt 2) eines wissenschaftlichen Artikels. Etwa drei Stunden werden benötigt. Weniger Zeit braucht man, wenn die Schüler/innen den Artikel nach dem 1. Abschnitt als Hausübung durchzulesen.
Die meisten wissenschaftlichen Publikationen sind in Englisch abgefasst. Wenn Sie an einer Schule mit einer anderen Unterrichtssprache arbeiten, kann es hilfreich sein, die Englischlehrer/in einzubinden.
Als erstes muss ein geeigneter wissenschaftlicher Artikel gefunden werden. Hier die entscheidenden Auswahlkriterien:
Mit der Auswahl des Themas soll möglicherweise ein Lehrplaninhalt abgedeckt werden. Nach der Themenwahl können Sie zum Beispiel in frei zugänglichen Journalen nach wissenschaftlichen Artikeln suchen. Als möglicher Ausgangspunkt bietet sich das Directory of Open Access Journalsw1 (DOAJ) an, eine in vielen Sprachen veröffentlichte Liste von Journalen für Wissenschaft und Schule. Empfehlenswert ist auch der Verlag Biomed Centralw2, der online 220 frei zugängliche, von Experten/innen begutachtete Journale aus den Fachbereichen Biologie und Medizin herausgibt. Das Public Library of Sciencew3 (PLOS) veröffentlicht sieben ebenfalls frei zugängliche, von Experten/innen begutachtete Journale aus diesen beiden Fachbereichen. In diesen Datenbanken kann man nach bestimmten Themen suchen, oder neuere Forschungsarbeiten, aktuelle Diskussionen oder häufig besuchte Artikel durchforsten.
Es können auch Themen aufgegriffen werden, die von den Medien (Zeitungen, populärwissenschaftliche Magazine wie New Scientist oder Science News, bzw. deren zugehörige Webseiten) behandelt worden sind. Diese Webseiten erlauben es, nach Begriffen zu suchen, und nach Thema, Datum und anderen Kriterien zu filtern. Einige Artikel führen weiterführende Literatur an, z.B. Originalartikel. Es gilt dann zu prüfen, ob der wissenschaftliche Artikel die oben aufgelisteten Kriterien erfüllt.
Wissenschaftliche Artikel über das Verhalten von Tieren oder über den Test von Medikamenten haben oft leicht verständliche experimentelle Abläufe. Ein gutes Beispiel ist der Artikel „Computer animations stimulate contagious yawning in chimpanzees“ („Computeranimationen stimulieren das ansteckende Gähnen bei Schimpansen“; Campbell et al., 2009), über dessen Inhalt verschiedene Zeitungen berichtet haben. Wir haben diesen Artikel wegen seiner Länge, seines ansprechenden Inhalts (der Anblick von gähnenden Schimpansen führt dazu, dass man selbst gähnt), des einfachen experimentellen Ablauf und der klaren wissenschaftlichen Aussagen ausgewählt. Weitere Details über den Einsatz des Artikels im Unterrichtw4 können von der Science in School Webseite herunter geladen werden.
Lassen Sie uns mit dem Text und der Struktur des wissenschaftlichen Artikels beginnen. Der Artikel beginnt mit einem Titel, der die gesamte Arbeit und/oder die Ergebnissen der Studie zusammenfasst. Dann folgt eine Liste der Autoren/innen und ihrer Zugehörigkeit (z.B. für wen sie arbeiten). Normalerweise handelt es sich beim ersten Autor/der ersten Autoren um den Hauptautor/die Hauptautorin, beim zuletzt genannten Autor um den Abteilungsleiter/die Abteilungsleiterin. Anschließend wird das Datum der Einreichung und der Veröffentlichung angegeben; Es folgt die Zusammenfassung des Artikel-Inhalts. Der Hauptteil des Artikels beginnt nach der Zusammenfassung.
Der erste Abschnitt des Hauptteils ist die Einleitung. Hier erklären die Autoren das fachliche Umfeld der Studie, z.B. was andere Wissenschafter/innen entdeckt haben; warum die Studie bedeutsam ist (welches Wissen bisher fehlte); und was die Autoren/innen vorhatten. Der zweite Teil beschreibt die verwendeten Materialien und Methoden so detailliert, dass andere Wissenschafter/innen die Experimente wiederholen könnten. Im dritten Abschnitt, werden die Ergebnisse der Studie in Textform zusammengefasst, und als Grafiken, Diagramme und Tabellen präsentiert. Der vierte Abschnitt ist die Diskussion der Ergebnisse. Das Wichtigste dabei ist, die wesentlichen Schlussfolgerungen (Behauptungen) zu formulieren, und zu erklären, wie diese Schlussfolgerungen von den experimentellen Daten unterstützt werden. Hier wird auch die Bedeutung für weitere Forschungsarbeiten oder für die Gesellschaft thematisiert. Es können Danksagungen der Autoren/innen an Personen, die die Forschungsarbeiten unterstützt haben oder an den/die Geldgeber folgen. Der Abschnitt „Referenzen“ listet alle Quellen auf, die im Artikel zitiert worden sind.
Zur Untersuchung der Textstruktur wird jedem Schüler/jeder Schülerin eine Kopie des Artikels ausgeteilt, dazu werden einige grundlegende Fragen gestellt. Da der Artikel zur Klärung der gestellten Fragen durchsucht werden muss, werden die Schüler/innen rasch mit der Struktur des wissenschaftlichen Artikels und seines Inhalts vertraut. Mögliche Fragen sind:
Denken Sie daran, dass wissenschaftliche Artikel geschrieben werden, um andere Experten/innen von der eigenen wissenschaftlichen Sichtweise zu überzeugen. Der Weg, zu Schlussfolgerungen zu kommen wird als argumentative Struktur des Artikels bezeichnet. Sie besteht aus einem Motiv (dem Grund, weswegen die Studie durchgeführt worden ist), den Zielen (was untersucht worden ist), der Hauptaussage (dem Ergebnis der Studie), den Belegen (Erklärungen, inklusive der eigenen experimentellen Daten), den Referenzen (zu früheren Forschungsarbeiten und zu entkräfteten Gegenargumenten), und ein oder zwei mögliche Bedeutung/en (z.B. eine neue Theorie, eine neue Forschungsfrage, oder die Auswirkungen auf die Gesellschaft oder die Wissenschaft). Jedes dieser Testelemente findet sich normalerweise in einem ganz bestimmten Abschnitt eines wissenschaftlichen Artikels (Abbildung 1).
Im nächsten Schritt wird die argumentative Struktur des Artikels genauer untersucht. Dabei sollen die Schüler/innen den gesamten Artikel entweder alleine oder in kleinen Gruppen genau lesen und zielgerichtete Fragen beantworten. Anschließend können die Antworten diskutieret werden, um das Verständnis der Schüler/innen zu vertiefen.
Zu Beginn sollen die Schüler/innen die Einleitung lesen und folgende Fragen beantworten:
Dann den Materialien- und Methodenteil. Erfahrungsgemäß ist dieser Teil für die Schüler/innen durch zahlreiche Fachausdrücke schwer verständlich. Wir empfehlen daher, in einfachen Worten zu erklären, wie die Studie durchgeführt worden ist.
Dann können die Schüler/innen die Ergebnisse und die Diskussion lesen und die nachfolgenden Fragen entweder zu Hause, oder in der Klasse beantworten. Gefragt werden sollte:
Wenn es den Schüler/innen schwer fällt, diese Elemente zu identifizieren, können sie ihre Antworten in Gruppen besprechen, bevor sie ins Plenum gebrachte werden. Ein Posters, das ähnlich strukturiert ist wie Abbildung 1 eignet sich gut zur Visualisierung. Die Poster können anschließend mit der ganzen Klasse diskutiert werden.
Danach könnte die komplette argumentative Struktur des wissenschaftlichen Artikels auf der Tafel festgehalten werden. Am Schluss sollten die Schüler/innen zu einer Diskussion aufgefordert werden, in der sie entscheiden sollen, ob sie der wissenschaftlichen Behauptung (der Hauptaussage) zustimmen, oder nicht. Sie sollten den wissenschaftlichen Artikel auch nochmals Revue passieren lassen, indem sie ihn zusammenfassen. Dafür kann ein Rollenspiel zur Begutachtung durch Experten/innenw5, eingesetzt werden, das von „Sense about Science” entwickelt worden ist.
Da es zum Thema „ansteckendes Gähnen“ viele Medienberichte gibt, eignet sich das Thema hervorragend für die Arbeit mit Medienberichten. Wie Medienberichte im Naturwissenschaftsunterricht eingesetzt werden können, beschreiben Veneu-Lumb und Costa (2010).
Als Folgeaktivität können die Schüler/innen ein eigenes Experiment zum Thema des Artikels durchführen. Wenn man den von uns beschriebenen Artikel verwendet, könnten die Schüler/innen einer anderen Klasse, die keine Ahnung hat, worum es geht, ein YouTube Video (Suche nach „ansteckendes Gähnen“ oder „contagious yawning“) vorspielen. Dabei könnte erhoben werden, wie oft gegähnt wird. Als Kontrolle könnte ein Video mit einer ähnlichen Länge, aber anderem Inhalt, gezeigt werden.
Der Artikel ist auf der Webseite des Journals kostenfrei abrufbar.
Dance A (2012) Authorship: who’s on first?. Nature 489: 591-593. doi: 10.1038/nj7417-591a
Der Artikel ist auf der Nature Webseite frei verfügbar.
Venkatraman V (2010) Conventions of scientific authorship. Science Career Magazine: 16 April 2010. doi: 10.1126/science.caredit.a1000039
Der Artikel ist auf der Webseite des Science Career Magazine kostenlos herunterladbar.
Durch die Verwendung der hier vorgestellten Unterrichtsaktivität zur Diskussion und Erkundung sorgfältig ausgewählter wissenschaftlicher Artikel durch Schüler/innen kann die Lehrkraft nicht nur das Wissen über die jeweilige wissenschaftliche Fragestellung vertiefen, sondern ihnen auch eine nähere Vorstellung über die Aktivitäten von Wissenschaftler/innen vermitteln.
Neben den Fragen, die in diesem Artikel gestellt worden sind, kann der Lehrer/die Lehrerin die Schüler/innen auch auffordern, den Begutachtungsprozess durch Experten/innen zu besprechen, z.B. durch Fragen wie: Wie funktioniert der Gutachtungsprozess durch Experten/innen? Warum wird er durchgeführt? Durch wie viele Gutachter/innen? Warum ist es wichtig (oder wünschenswert), dass der Begutachtungsprozess blind (d.h. ohne Kenntnis der Namen der Studienautoren/innen) erfolgt? Die Schüler/innen können auch über den Abschnitt „Danksagung“, und die Wege der Wissenschaftsfinanzierung nachdenken.
Es könnte interessant sein, die Schüler/innen anschließend aufzufordern, ein eigenes Forschungsprojekt zu überlegen, und einen kurzen Artikel zu schreiben. Wenn das in mehreren Klassen gemacht wird, könnten die Forschungsberichte durch die jeweils andere Klasse, die das gleiche Thema bearbeitet hat, begutachtet werden.
Die Wahl des Schulfachs und der Altersgruppe hängt von der Auswahl des wissenschaftlichen Artikels durch die Lehrkraft ab. Am sinnvollsten erscheint die Vorgangsweise für ältere Schüler/innen der Sekundarstufe (15-18 Jahre). Die Tatsache, dass viele wissenschaftliche Artikel in Englisch abgefasst sind, sollte nicht als Hindernis, sondern als Chance für ein interdisziplinäres Projekt mit Sprachlehrer/innen verstanden werden.
Betina da Silva Lopes, Portugal
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