Das Geheimnis des Altruismus Understand article

Übersetzt von Judith Förster. Existiert wahrer Altruismus? Und kann die Wissenschaft eine Antwort geben?

Eine Deutsche Wespe
(Vespula germanica)

Abbildung mit freundlicher
Genehmigung von Richard
Bartz; Quelle: Wikimedia
Commons

Der Ursprung von Freundlichkeit ist ein Geheimnis. Wie entstanden Schenken und Altruismus? Wurden sie im Laufe der natürlichen Selektion vererbt – ist es ein Geschenk, welches uns gewidmet wurde durch einen kriechenden, evolutionären Marsch von sich opfernden Amöben, selbstlosen Pinguinen und wohltätigen Pavianen? Oder ist Altruismus eine einzigartige Raffinesse, ein einzelner menschlicher Triumph über „die Natur des Fressens und gefressen werden“? Charles Darwin nannte es das größte Rätsel und seither versuchen Denker dieses zu lösen.

In einer Kolonie von
Honigtopfameisen haben
manche Individuen stark
geschwollene Abdomen.
Diese dienen als Futterquelle
für den Rest der Kolonie.

Abbildung mit freundlicher
Genehmigung von Greg Hume;
Quelle: Wikimedia Commons

Hier ist das Geheimnis: Wenn die Evolution ein Prozess ist, bei dem der Fitteste überlebt und Altruismus dafür sorgt die Fitness zu mindern, warum sieht man dann überall in der Natur altruistisches Verhalten? Betrachten Sie die Honigtopfameise in der amerikanischen Wüste, die kopfüber, wie ein riesengroßer Topf mit Zuckerwasser hängt und dauernd darauf wartet von der Königin und ihren Nachkommen angezapft zu werden, wenn diese Durst haben; oder Gazellen, die auffällig auf und ab hüpfen um ihrer Herde zu signalisieren, dass ein Löwe im Gras lauert; oder auch das Gelbe Springkraut (Impatiens pallida),welches kaum vorhandenes Sonnenlicht nicht für sich beansprucht, indem es Blätter produziert, sondern in Stämme und Wurzeln investiert, um das Sonnenlicht mit anderen zu teilen. Dieses sind nur ein paar der vielen Beispiele aus der Welt der Natur.

Dictyostelium discoideum ist
eine bodenbewohnende
Amoebe, die allgemein auch
aus Schleimpilz bezeichnet
wird. Wenn sie hunger
vereinigen sich die eigentlich
frei-lebenden Zellen zu einer
“Kugel”, sie aus
unterschiedlichen Sporen
besteht und aus einem
altruistischen, nicht
reproduktiven Stiel.

Abbildung mit freundlicher
Genehmigung von Owen
Gilbert.

Biologischer Altruismus ist definiert durch das Ergebnis einer Handlung: Wenn eine Amöbe so handelt, dass sie ihre eigene Fitness verringert während dadurch eine andere einen Fitnessvorteil hat, dann ist das Altruismus. (Von bestimmten Arten sozialer Amöben ist bekannt, dass sie sich selbst für ihre Brüder aufopfern.) Auf der anderen Seite ist menschlicher oder psychologischer Altruismus abhängig von einer Absicht: Wenn ich einer alten Frau über die Straße helfe mit dem heimlichen Gedanken in ihr Testament geschrieben zu werden, dann gilt das nicht Altruismus, auch nicht, wenn man während dessen von einem LKW überfahren wird. Dennoch, gibt es einen Zusammenhang zwischen altruistischem Verhalten von Amöben und Menschen? Im Endeffekt ist es das durch die Evolution entstandene, menschliche Gehirn welches uns Selbstlosigkeit ermöglicht, genau wie bei Handlungen von kleinen hirnlosen Amöben.

Albert Schweizer (1875-
1965) gewann 1952 den
Nobel-Preis für seine
Philosophie von der
„Ehrfurcht vor dem Leben“.

Abbildung mit freundlicher
Genehmigung von Rolf
Unterberg; Quelle: Wikimedia
Commons

Seit Darwin und eigentlich schon früher, versuchen wir dieses Rätsel zu lösen. Besonders interessiert hat uns ob Altruismus überhaupt existiert. „Kratze einen Altruisten und sieh einen Egoisten bluten“ ist eine Philosophie. Ist es das, wie wir das Leben der Nobelpreisträger Albert Schweizer und Mutter Theresa erklären sollten? Oder einen Soldaten, der in den Graben springt, um seinen Kumpel zu schützen? Zyniker würden sagen, dass, ob bewusst oder nicht, Aufopferung immer getrieben ist durch verborgene Motive.

Die Geschichte lehrt uns, dass wir, wenn wir den Zusammenhang von Natur und Moral betrachten, oft über etwas stolpern, dass Humes Guillotine genannt wird (beschrieben durch den schottischen Philosophen David Hume [1711-1776]) und oft fälschlicher Weise als „der natürliche Irrtum“ bezeichnet wird. Das ist der störende Fehler zwischen dem was ist und dem was sein sollte: oder, was wir in der Natur beobachten nutzen wir als Regel für unser eigenes Verhalten (Hume, 1739). Das ist wichtig wenn es um Altruismus geht, da die Wissenschaft, seit Darwins Zeiten, eine Anzahl von Erklärungen für die Evolution der opfernde Eigenschaften geliefert hat.

Bienen, Wespen und Ameisen
(Hamenoptera)bilden
haplodiploide Tiere aus,
wodurch die zu ihren
Schwestern eine höhere
Verwandtschaft ausweisen
als zu ihren Nachkommen.
Dieses könnet einer der
Hauptgründe für die
Evolution der Kolonien von
sozialen Insekten e

Abbildung mit freundlicher
Genehmigung von CrazyD;
Quelle: Wikimedia Commons

Eine dieser Erklärungen ist der Nepotismus: Je höher der gentische Verwandtschaftsgrad, desto höher die Wahrscheinlichkeit von Altruismus. Das wurde rechnerisch durch den britischen Evolutionsbiologen Bill Hamilton formuliert, der behauptete, dass ein genetisches Merkmal für Altruismus sich in einer Population verbreiten sollte, wenn

rB > C

wobei r der genetische Verwandtschaftsgrad von zwei Individuen ist, B der Reproduktionsvorteil entstanden durch den Empfänger des altruistischen Verhaltens und C sind die Reproduktionskosten des Individuums, welches das altruistische Verhalten ausführt (Hamilton, 1964a, 1964b). Bedeutet dies, dass es natürlich ist Verwandten zu helfen, aber unnatürlich Fremden zu helfen?

Gazellen springen ausfällig
hoch und runter, um ihrer
Herde mitzuteilen, dass ein
Räuber im Gras lauert.

Abbildung mit freundlicher
Genehmigung von Rick
Wilhelmsen; Quelle:
Wikimedia Commons

Möglicherweise nicht. Eine andere Erklärung ist die einfache Wechselwirkung: Ein Individuum sollte einem anderen helfen in der Erwartung selbst Hilfe zurück zu bekommen. Im Bezug darauf ist es eine Vertrauensangelegenheit: Wenn ich anderen nicht signalisieren kann, dass ich vertrauenswürdig bin, werde ich in einer Welt, in der es auf Kooperation ankommt, nicht überleben können.

Die dritte Erklärung ist die Gruppenselektion: Die Gruppen, die Altruismus als einen sozialen Kleber nutzen um den Zusammenhalt zu festigen werden Gruppen von Nicht-Kooperativen überlegen sein.

Nacktmulle werden
manchmal als die sozialen
Insekten der Säugetiere
bezeichnet.

Abbildung mit freundlicher
Genehmigung von Ltshears;
Quelle: Wikimedia Commons

Aber lassen diese Erklärungen Raum für wahren Altruismus? Die Erklärungen befriedigen Skeptiker, die alle völlig abhängig von der Logik der Egoismus sind: Es lohnt sich anderen oder auch einer Gruppe zu helfen, wenn es dir einen Vorteil verschafft. Und wenn es das ist was Modelle und Theorien zeigen, unterstützt durch empirische Beobachtungen, ist Altruismus vielleicht nur ein Traum. Viel gefährlicher ist aber die Idee, dass, wenn wir nur noch aus selbstsüchtigen Gründen altruistisch handeln, wir noch nicht einmal versuchen sollten wie wahre Altruisten zu handeln.

Ein Wissenschaftler der versucht hat das Rätsel des Altruismus zu lösen war der US Populationsgenetiker George Price. Durch die Herleitung einer Gleichung in den späten 1960ern, die später nach ihm benannt wurde, kam Price zum Glauben, dass, wenn Altruismus durch Mathematik erklärt werden könnte, er kein wahrer Altruismus wäre. Selbstlosigkeit war immer eigennützig – das glaubte er erklärt seine Gleichung (Price, 1970).

Wie kann altruistisches
Verhalten, zum Beispiel ein
Soldat der sich schützend vor
seine Kameraden wirft,
wissenschaftlich erklärt
werden?

Abbildung mit freundlicher
Genehmigung des britischen
Verteidigungsministerium

Für George Price war dies eine schreckliche Erkenntnis und er ließ sich herab, wie ein Engel, zu den heimatlosen Menschen in London, UK, entschlossen ebendiese Mathematik, welche er aufgestellt hatte, zu widerlegen. Am Ende, nachdem er alle Besitztümer hergegeben hatte, wurde er selbst obdachlos und beging 1975 in einem kalten, besetzen Haus in London Selbstmord.

Die Wissenschaft ein starkes Hilfsmittel um die Welt zu verstehen. Mit Hilfe der Neurogenetik und funktionaler Magnetresonanztechnik wird versucht die Gene für Altruismus zu finden und die Gehirnstrukturen, die bei altruistischen Verhalten eine Rolle spielen (Churchland, 2011). Aber genau deswegen müssen wir uns an das Schicksal von George Price erinnern: Seine Geschichte ist die Personifikation des Altruismus-Paradoxons. Es zeigt, dass die Hilfsmittel der Wissenschaft abhängig von der Art der Frage, die uns interessiert, nicht immer relevant sind, zum Beispiel, wenn es darum geht wie wir uns Verhalten. Wenn wir in der Lage sind alle wissenschaftlichen Fragen, die wir aufstellen, zu beantworten, können wir dann alles Verstehen was wir wollen? Die Geschichte von George Price zeigt uns, dass die Antwort auf diese Frage „nein“ ist.

Danksagung

Dieser Artikel ist angelehnt an einen früheren Artikel von Oren Harmanw1, welcher auf der Forbes Webseite veröffentlich wurde.


References

Web References

Resources

  • Der Philosoph Elliott Sober und der Biologe David Sloan Wilson versuchen Altruismus, Evolution und Psychologie zusammenzufügen mit den wissenschaftlichen Entdeckungen die die Natur als grausam erscheinen lassen.
    • Sober E, Wilson DS (1998) Unto Others: The Evolution and Psychology of Unselfish Behavior. Cambridge, MA, USA: Harvard University Press. ISBN: 978-0674930476

  • Um herauszufinden warum der Psychologe Steven Pinker nicht die Idee der Gruppenselektion unterstützt, könne Sie folgendes Essay lesen: ‘The false allure of group selection’.

Author(s)

Oren Harman is Schriftsteller und Professor für Wissenschaftsgeschichte. Er hat Geschichte und Biologie an der Hebrew Universität in Jerusalem in Israel studiert. Nach einem Abschluss als Master und einer Doktor an der der Universität Oxford (GB) hat er zwei Jahre an der Universität Harvard (USA) an Lehrstuhl für Wissenschaftsgeschichte verbracht. Derzeit ist Oren Professor für Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft an der Bar Ilan Universität in Israel und dort auch Vorsitzender des Graduiertenprogrammes. Seine Schwerpunkte liegen in Geschichte und Philosophie moderner Biologie, Evolutionstheorien, Evolution des Altruismus, Genetik des 20.Jahrhunderts und historische Biographien.

Als Autor arbeitet Oren bei The New Republic, Science, Nature, The New York Times, The Times, the Times Literary Supplement, the New York Review of Books, the Economist, Forbes, The Huffington Post und viele andere.RE nutzte die Geschichte von George Price in seinem Buch The Price of Altruism (Harman, 2010) um die 150jährigen Bemühungen zu zeigen, die Ursprünge der Freundlichkeit zu finden. Das Buch hat 2010 den Los Angeles Times Book Preis gewonnen.

Review

Altruismus ist ein Verhalten, welches bei vielen Arten von Organismen beobachtet wir und trotzdem ist es noch ein großes Rätsel. Oren Harman erklärt in diesem Artikel die plausiblen Gründe für Altruismus und ob wahrer Altruismus bei Menschen vorkommt.

Dieser Text ist nicht ausschließlich ein wissenschaftlicher Text, sondern kann auch im Sozialkundeunterricht verwendet werden. Er kann als Grundlage für eine Diskussion über viele Themen dienen, die Wissenschaft und soziale Studien verknüpfen: z.B. natürliche Selektion und Altruismus; die genetischen Grundlagen des Altruismus; Altruismus und Gruppenfitness; und die mathematischen Formeln zur Erläuterung des Altruismus. Dieser Artikel ist für alle Altersstufen auf weiterführenden Schulen, besonders im Alter von 15-19 Jahre.

Dieser Artikel kann in einer weitreichenden Aufgabe genutzt werden, die folgende Fragen enthalten könnte:

  1. Warum wird Altruismus als ein Verhalten bezeichnet, welches die Fitness eines Individuums reduziert?
  2. Warum glauben manche Personen, dass es wahren Altruismus beim Menschen nicht gibt?
  3. Altruismus ist ein Verhalten, welches bei der Gruppenselektion eine Rolle spielen könnte. Bestätigen Sie diese Idee anhand eines Beispiels.
  4. Was bedeutet: „Wenn Altruismus mathematisch erklärt werden kann, dann war es niemals das wonach es aussah.“

Michalis Hadjimarcou, Cyprus

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