“Rendezvous mit der Genmaschine”: Wie Schüler/innen zu Diskussionen über Bioethik angeregt werden können Teach article

Laura Strieth, Karen Bultitude, Frank Burnet and Clare Wilkinson use drama and debate to encourage young people to discuss genetics and what it means for us all. Why not join in?

Genetik: ein schwieriges Fachgebiet

Seit der Aufklärung der DNA-Struktur durch Watson und Crick vor 55 Jahren hat sich die Gentechnik rasant entwickelt. Aber viele dieser Fortschritte, wie z.B. die immer größer werdende Zahl von Gentest, mit denen Krankheiten vorhergesagt werden können, die Steigerung der Zahl genetischer Daten in Genbanken w1 und die Fortschritte in der Reproduktionstechnologie, werfen komplexe persönliche, soziale und ethische Fragen auf, die den Einzelnen und die Gesellschaft betreffen. Wer soll Zugriff auf das genetische Profil eines Menschen haben, und wofür soll es genutzt werden? Wie beeinflussen personenbezogene genetische Daten die eigene Wahrnehmung und wie wird die Wahrnehmung anderer beeinflusst? Wem gehören die genetischen Daten, und wer kontrolliert sie? Wie sind Minderheiten von der Kenntnis genetischer Daten betroffen? Das sind nur einige Fragen, über die Schülerinnen und Schüler im Alter von 13 bis 18 nachdenken und diskutieren sollen, wenn sie an einer  “Rendezvous mit der Genmaschine” (“Meet the Gene machine” im englischen Original) – Unterrichtseinheit in der Klasse teilnehmen.

Die Aktivitäten konzentrieren sich dabei auf Diskussionen und Diskurse, die die Schüler/innen anregen sollen, kritisch über die Bedeutung der Wissenschaft für ihr eigenes Leben und die Gesellschaft nachzudenken. Diese Fähigkeiten standen im Mittelpunkt der Wissenschaftskurse, die kürzlich in England und Walesw3 (Burden, 2007; Millar, 2006) abgehalten worden sind und von den beteiligten Schülerinnen und Schülern gut angenommen wordenw4.

Die Initiative “Rendezvous mit der Genmaschine” wurde von der „Science Communication Unit w5 an der University of the West of England w6, in Bristol entwickelt und wurde vom Wellcome Trustw7. gefördert. Das Projekt und die dabei entwickelten Unterrichtsmaterialien entstanden in Zusammenarbeit von Naturwissenschaftern, eines/r genetischen Beraters/in, einer Lehrperson und einem/ Schauspieler/in. Das Kursdesign ist in Großbritannien und weiteren Staaten getestet worden.

Die Unterrichtsmodule sind einfach durchzuführen und leicht auf verschiedene Zielgruppen übertragbar: sie wurden in der Arbeit mit Studenten/innen, in Wissenschaftszentren, mit Museumsmitarbeiter/innen, Schauspieler/innen und Schüler/innen erfolgreich eingesetzt. Die Module sind besonders für die Altersgruppe 13-18 geeignet, eignen sich aber auch für andere Altersgruppen

Versuchen Sie es selbst

Ein  “Rendezvous mit der Genmaschine”-Events beginnt mit einem kurzen Rollenspiel: ein/e Wissenschafter/in erklärt in einer Talkshow im Fernsehen eine neu entwickelte Genmaschine.  Das Rollenspiel regt zu einer fundierten und lebhaften Diskussion an, indem es Schüler/innen und Schüler in die Grundlagen der Genetik einführt werden und fundamentale ethische und soziale Fragen über die gegenwärtigen und zukünftigen Möglichkeiten der Gentechnik aufgeworfen werden.

Gast:   …Wie heißt dieses Gerät?
Chris: Hmm, wir nennen es “Mikroarray-Mikroassay-Hyper Channel Einheit” –  mit verbesserter Genanalysefunktion und eingebauter Interpretation der Gendaten
Gast: OK…eine Genmaschine. Und was kann sie?
Chris: Ich nehme eine DNA-Probe, stelle sie hier hinein und die “Mikroarray-Mikroassay…
Gast: ..Genmaschine
Chris:…und die Genmaschine analysiert die DNA und druckt das komplette genetische Profil aus.

Das Drehbuch für dieses Rollenspiel kann für Unterrichtszwecke kostenlos heruntergeladen werden.w2 Der Dialog kann zwischen zwei Schüler/innen, oder zwei Lehrer/innen ablaufen. Als Materialien werden nur ein Wattestäbchen und eine fiktive Genmaschine benötigt, die nach den Vorstellungen der Lehrkraft oder der Schüler/innen gestaltet werden kann.

The mini drama.JPG
Zur Verfügung gestellt von der „Science Communication Unit“

Chris: Das ist aber ein interessantes Gen!
Gast (pfeift)
Chris: Ja, das ist ziemlich abstrakt. Vielleicht möchtest du das mit anderen besprechen…
Gast: Ja?
Chris: (atmet tief ein) Dieses Gen weist darauf hin, dass du ein erhöhtes Risiko hast, an Brustkrebs zu erkranken.

Nach dem Rollenspiel folgt eine moderierte Diskussion, in der die Schüler/innen ihre eigene Meinung zu Gentests artikulieren können, und jene der Mitschüler/innen kennen lernen. Um möglichst viele Schülerinnen und Schüler in die Diskussion mit einzubeziehen, hat das Projektteam einige Ideen und Spiele entwickelt, die sich für unterschiedliche Unterrichtssituationen eignen. Im Folgenden werden zwei der erfolgreichsten Techniken beschrieben.

Das Einschätzungsspiel

Bitten Sie Schüler/innen einzuschätzen, wie stark bestimmte Merkmale (z.B. die Haarfarbe) genetisch bedingt sind. Dieses Spiel begeistert die Schüler/innen und ermöglicht der Lehrkraft, die fachlichen Vorkenntnisse der Schüler/innen einzuschätzen und auf nicht vollständig aufgeklärte wissenschaftliche Unsicherheiten hinzuweisen.

Erforderliche Materialien

1) Karten (laminiertes A4-Blatt, oder noch besser, A3) mit Aufdruck genetisch bedingter und nicht genetisch bedingter Eigenschaften (Beispiele siehe unten). Die Schüler/innen sollen diskutieren, wie stark die jeweilige Eigenschaft genetisch bedingt ist.

Vorschläge für Eigenschaften

Musische Fähigkeiten
Cystische Fibrose
Alkoholismus
Haarfarbe
Sportlichkeit
Intelligenz
Darmkrebs
Chorea Huntington
Sichelzellanämie
Schizophrenie
Kriminalität
Homosexualität
Atemnot
Augenfarbe
Kurzes Haar

2) Karten mit “genetisch bedingt” und “nicht genetisch bedingt” an gegenüber liegenden Wänden des Klassenraums. Während der Diskussion sollen die Schüler/innen das laminierte Blatt mit der jeweiligen Eigenschaft an jener Stelle auf die Wand heften, die ihrer Einschätzung entspricht.

Tipps

Image courtesy of the Science
Communication Unit

Um die Spannung aufrecht zu erhalten, sollte das Einschätzungsspiel nur mit vier bis fünf Eigenschaften durchgespielt werden. Es können sowohl Merkmale, die in vorangegangenen Unterrichtseinheiten besprochen worden sind, oder neue Eigenschaften diskutiert werden.

Beim ersten Merkmal können die Schüler/innen auffordert werden, sich einen Platz im Klassenzimmer zu suchen, der dem Ausmaß, durch das ein bestimmtes Merkmal genetisch bedingt ist, entspricht.  Das bringt die Schüler/innen dazu, sich zu bewegen und von Anfang an miteinander zu kommunizieren.
Für viele Eigenschaften gibt es keine klare wissenschaftliche Antwort; Das zu betonen, erscheint wichtig, weil die Schüler/innen zu einem Meinungsaustausch angeregt werden. Die Tatsache, dass der Einfluss der Genetik bei vielen Eigenschaften nicht genau bekannt ist, ermöglicht eine offene Diskussion, das Spiel kann laufend an neue wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst werden.

Informationen über neue Entwicklungen und Technologien finden sich auf der Science Communication Webseite w4. Von dort können die gesammelten, monatlich erscheinenden Newsletter des “Rendezvous mit der Genmaschine”-Teams, die laufend über Entwicklungen der Genetik informieren, frei heruntergeladen werden.

Diskussion zum Datenschutz

Bei dieser Aktivität beschäftigen sich die Schüler/innen mit der Frage der Vertraulichkeit, und der Frage, wem die genetischen Daten gehören. Der Frage der Einwilligung mit der Weitergabe der Daten, und weiter reichenden Auswirkungen der Gentests.

Teilen sie die Schüler/innen in Gruppen und fordere Sie sie auf, zu diskutieren, “wem sie Details über ihrer genetischen Ausstattung mitteilen würden und wem sie diese Informationen keinesfalls geben würden.“

Erforderliche Materialien

Karten mit den Namen der unten genannten Personengruppen (laminiertes A4-Papier, noch besser A3). Für eine Klasse mit 30 Schüler/innen sollten 24 Karten vorbereitet werden, je nachdem, ob die Diskussion im Plenum oder in Kleingruppen ablaufen soll

Familie
Arzt
Versicherungsgesellschaft
Arbeitgeber
Schule
Polizei
Freunde

Tipps

Teilung der Klasse in 5er-Gruppen. Jede Gruppe bekommt vier ausgewählte Karten. In den Gruppen sollen die Schüler/innen diskutieren und begründen, wem sie ihre genetischen Daten gerne weiter geben würden, und wem nicht. Am Ende berichtet ein/e Sprecher/in der Gruppe der ganzen Klasse über die wichtigsten Argumente, die in der Diskussion aufgetaucht sind.

Bei der Bearbeitung dieser Aufgabe ist nicht nötig, dass sich die Gruppe ein gemeinsames Ergebnis erzielen. Wichtiger ist es, Argumente zu finden, warum Daten an bestimmte Personengruppen weiter gegeben werden sollen, und an andere nicht.

Weitere Aktivitäten

Das “Rendezvous mit der Genmaschine” Team hat weitere Unterrichtsideen entwickelt, die ebenfalls die Diskussionen der Schüler/innen über Bioethik anregen können. Die Aktivitäten sind im schulischen Alltag leicht umsetzbar, es werden nur einfache Materialien wie Kopien benötigt. Die Anleitungen können kostenlos im Wordformat heruntergeladen werdenw2.

Die “„Science Communication Unit“” bietet englischsprachige Unterstützung für die Nutzung der Übungsanleitungen (science.communication@uwe.ac.uk).

Möglichkeit zum internationalen Transfer

Das “Rendezvous mit der Genmaschine”- Konzept wurde ursprünglich für die tschechischen “Science Week  2003” entwickelt, und wurde seither in vielen anderen Ländern erfolgreich eingesetzt: Italien, Portugal, Lettland, Costa Rica und Hong Kong. Das Konzept ist leicht übertragbar, und erfordert keine besonderen Materialien oder dramaturgische Effekte. Es eignet sich für unterschiedliche Zielgruppen und Veranstaltungsorte. Die derzeit verfügbaren Materialien sind für die Altersgruppe 13-18 konzipiert, die wissenschaftlichen Unterlagen eignen sich für heterogene Ausbildungsniveaus.

Feedback von Teilnehmer/innen

„Das Rollenspiel ist humorvoll und informativ, man erfährt in der Diskussion viele unterschiedliche Meinungen” (14-jährige/r Schüler/in)

“Die Gruppendiskussion verlief positiv, und hat zum Nachdenken über Alltägliches angeregt” (17-jährige/r Schüler/in)

“In Hinblick auf die Entwicklung einer wissenschaftlichen Denkweise hat das “Rendezvous mit der Genmaschine”-Material den Schüler/innen Gelegenheit gegeben, über verschiedene Aspekte der Genetik zu diskutieren. Die Materialien unterstützen Lehrer/innen bei dem Versuch, Schüler/innen in strukturierte Diskussionen über kontroversielle Themen einzubeziehen. Die Unterlagen enthalten viele nützliche Ideen für Gruppenarbeiten, die sich auch für andere Gegenstandsbereiche eignen” (Leiter der wissenschaftlichen Gruppe).


References

  • Burden J (2007) Twenty First Century Science: developing a new science curriculum. Science in School 5: 74-77. www.scienceinschool.org/2007/issue5/c21science
  • Millar R (2006) Twenty First Century Science: insights from the design and implementation of a scientific literacy approach in school science. International Journal of Science Education. 28: 1499-1521

Web References

  • Die UK Biobank versucht, heraus zu finden, wie die Gesundheit von 500 000 Menschen durch ihren Lebensstil, die Umwelt und von ihren Gene beeinflusst wird. Das Ziel dieses Großprojekts ist die Verbesserung der Vorbeugung, der Diagnose und der Therapie eines breiten Krankheitsspektrums und die Förderung der Gesundheit: www.ukbiobank.ac.uk
  • Weitere Informationen über das “Meeting the Gene Machine” (“Rendezvous mit der Genmaschine”)-Projekt unter: www.21stcenturyscience.org
  • Student Review of the Science Curriculum: Major Findings, ein Projekt aus dem Wissenschaftsjahr unter: www.planet-science.com/sciteach/review/Findings.pdf
  • weitere Informationen über die „Science Communication Unit“ unter: www.science.uwe.ac.uk/sciencecommunication
  • weitere Informationen über die University of the West of England, see: www.uwe.ac.uk
  • Der Wellcome Trust ist der weltweit größte Fonds zur Förderung der menschlichen und tierischen Gesundheit. Weitere Informationen unter : www.wellcome.ac.uk

Author(s)

Laura Strieth, Karen Bultitude, Frank Burnet und Clare Wilkinson arbeiten an der „Science Communication Unit“ der University of the West of England, die 1997 gegründet wurde. Sie ist eine der ersten und innovativsten Wissenschaftskommunikationseinrichtungen, die sich auf die Kommunikation wissenschaftlicher Erkenntnisse an die Öffentlichkeit spezialisiert hat. Die „Science Communication Unit“ hat verschieden Projekte geleitet (bzw. war beteiligt), bei denen Roboterexperten und Wissenschaftsjournalisten/innen vernetzt wurden, um eine breite Zielgruppe zu erreichen (z.B. “Walking with Robots”). “Zero Carbon City” – ein zum Denken anregendes Projekt über die Auswirkungen des Klimawandels – ist ein weiteres Beispiel für die Aktivitäten der „Science Communication Unit“.

Das weit über Großbritannien hinaus bekannte Kernteam reist viel und arbeitet in zahlreichen Ländern, wie z.B. kürzlich in Costa Rica, Hong Kong, Griechenland, und Lettland. Die „Science Communication Unit“ war ein Vorreiter interdisziplinärer Ansätze der Wissenschaftskommunikation mit der Öffentlichkeit. Sie besteht aus einem interdisziplinären Team aus Naturwissenschafter/innen, Sozialwissenschafter/innen und Personen mit einem Hintergrund im Bereich der Wissenschaftskommunikation.

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