Kunst und Wissenschaft von Pompeji bis Rembrandt Inspire article
Die Anwendung von Hightech-Wissenschaften auf das Studium alter Kunstwerke und berühmter Gemälde war eine lohnende Berufswahl für die Synchrotronforscherin Marine Cotte.
Manchmal betrachten wir Kunst und Wissenschaft als zwei ganz unterschiedliche Tätigkeitsbereiche. Die Karriere von Dr. Marine Cotte, einer Wissenschaftlerin am ESRF (European Synchrotron Radiation Facility)w1 in Grenoble in Frankreich, stellt diese Ansicht allerdings in Frage. Marine war schon immer von Wissenschaft und unserem kulturellem Erbe fasziniert. Diese Kombination hat ihre Karriere bereits von Anfang an beeinflusst. Nachdem sie Chemie an der anerkannten Ecole Normale Supérieure de Lyon studiert hat, entschied sie sich dafür, ihre Doktorarbeit nicht an einer Universität, sondern im Museum Louvre in Paris anzufertigen. Dort hat sie 2001 im Centre of Research and Restoration of French Museums, im Untergeschoss des Louvre, mit ihren Untersuchungen begonnen.
Antike Materialien
Als Teil ihrer Arbeit hat Marine fortschrittliche wissenschaftliche Techniken verwendet, um winzige Fragmente antiker Materialien aus der Kollektion des Louvre zu untersuchen. “Überraschenderweise sind viele der antiken Kosmetikbehältnisse, die im Louvre aufbewahrt und ausgestellt weden, aus Bleiverbindungen hergestellt” erklärt sie. Während man heutzutage kein Blei in seinem Make-up finden möchte, war es in früheren Zeiten üblich, bleihaltige Inhaltsstoffe zur Herstellung von Kosmetika – und auch in pharmazeutischen Produkten – zu verwenden. So bestand beispielsweise das Make-up, mit dem sich die alten Ägypter schwarze Augen schminkten, meist aus Bleiglanz (einem Bleisulfidmineral). Auch wurden bis Anfang des 20. Jahrhunderts Pasten zur Behandlung von Verbrennungen oder Wunden hergestellt, indem Fett oder Öl mit einer Bleiverbindung und verschiedenen Zusatzstoffen gemischt wurde.
Eine Technik, die Marine mit ans Louvre brachte, war eine neuartige Röntgenmikroskopie, bei der ein leistungsstarker Synchrotronstrahl verwendet wird. Dieser sehr intensive Lichtstrahl reicht von Infrarotwellenlängen bis in den Röntgenbereich und wird in speziellen Forschungseinrichtung erzeugt. Die Verwendung von Synchrotronmikroskopen zur Untersuchung antiker Materialien war damals ein seltener Forschungsansatz, den Marine jedoch mit großem Erfolg vorangetrieben hat. Auch ihre Postdoc-Forschung widmete sie weiterhin der antiken Kunst und wechselte 2004 zum ESRF. Marine arbeitet immer noch am ESRF, ihre Forschung ist mittlerweile allerdings international verankert.
In einem ihrer ersten Forschungsprojekte am ESRF hat Marine zusammen mit Forschern aus Paris und Pisa den Abbau von Wandmalereien in einem Haus in der Nähe der antiken Stadt Pompeji untersucht, die bei Ausbruch des Vulkans Vesuv im Jahr 79 n. Chr. begraben wurde. Wissenschaftler fragten sich seit vielen Jahren, warum die roten Gemälde an den Wänden von Pompeji, die aus dem natürlichen Pigment Zinnober hergestellt wurden, sich mit der Zeit schwarz gefärbt haben. Diese Farbveränderung war schon den damaligen Bewohnern bekannt: Sie versuchten, das Problem zu verhindern, indem sie einen Schutzlack auf der Basis einer Substanz namens „punisches Wachs“ auftrugen.
Vor Marines Forschung war die am weitesten verbreitete Erklärung, dass Zinnober, wenn er Licht ausgesetzt wird, eine Veränderung der Kristallstruktur in Metacinnabarit erfährt und deshalb schwarz wird. Die Experimente – durchgeführt an einer Röntgenmikroskopie-Beamline am ESRF – zeigten jedoch, dass diese Strukturveränderung nicht stattfand: Stattdessen fanden die Forscher heraus, dass zwei chemische Reaktionen (eine darunter mit Chlor) die Ursache für die Schwärzung waren (Cotte et al., 2006). Ironischerweise hat der punische Wachs diese Veränderung beschleunigt. „Chlor kommt wahrscheinlich aus dem benachbarten Mittelmeer und wurde vielleicht sogar von den Malern aufgetragen, da das punische Wachs aus Meerwasser hergestellt wurde“, erklärt Marine.
Kunstwissenschaftliche Untersuchungen
Die Suche nach dem, was alte und wertvolle Gemälde degradieren lässt, war schon immer das oberste Ziel von Marines Forschung. Eine solche Frage ist von grundlegender Bedeutung, wenn wir unser künstlerisches Erbe für zukünftige Generationen im besten Zustand erhalten wollen, denn das Verständnis der Chemie kann den Restauratoren helfen, die Degradation zu minimieren. Im Jahr 2010 schloss sich Marine einer Zusammenarbeit mit Forschern der Universität Antwerpen, der Universität Perugia und des Van Gogh Museums in Amsterdam an, um zu untersuchen, wie sich das chromgelbe Pigment in van Goghs Gemälden verändert hatte. Dabei interessierten sie sich insbesondere für die Sonnenblumen-Seriew2 (Dik et al., 2008).
Die niederländische Zusammenarbeit hat sich damit allerdings noch nicht zufrieden gegeben: Im Jahr 2018 begann Marine mit der Arbeit an den Gemälden des „alten Meisters“ Rembrandt, der das niederländische Goldene Zeitalter der Malerei verkörpert. Rembrandt revolutionierte die Malerei mit einer Technik namens Impasto, bei der durch die dicke Farbe Teile des Gemäldes aus der Oberfläche herausragen. Dadurch wird ein dreidimensionaler Effekt erzeugt und es werden die lichtreflektierenden und strukturellen Eigenschaften des Gemäldes erhöht. Rembrandt erreichte den Impasto-Effekt durch die Verwendung von Materialien, die traditionell auf dem niederländischen Farbmarkt des 17. Jahrhunderts erhältlich waren: ein bleihaltiges Weißpigment (eine Mischung aus Hydrocerussit, Pb3(CO3)2·(OH)2 und Cerussit, PbCO3) und organische Medien (hauptsächlich Leinöl). Die genaue Rezeptur seines Impastos war jedoch unbekannt.
Marine unterstützte Victor Gonzalez, einen Forscher des Rijksmuseums und der Technischen Universität Delft, bei der Analyse winziger Fragmente von drei von Rembrandts Meisterwerken: dem Porträt von Marten Soolmans, Bathseba und Susanna. Unter Verwendung der Beamlines am ESRF untersuchten sie die Struktur und Zusammensetzung des Impasto-Materials im Mikrometerbereich. Das Ergebnis war die Entdeckung, dass die Impasto-Schichten Plumbonacrit, Pb5(CO3)3O(OH)2 – eine Bleiverbindung, die in historischen Farben extrem selten ist – enthielten und somit eine charakteristische chemische „Signatur“ des von Rembrandt verwendeten Materials lieferten (Gonzalez et al., 2019).
„Das war eine echte Überraschung, denn vor Beginn der Experimente hatten wir absolut keine Ahnung, dass unsere Technik eine bestimmte Signatur im Impasto erkennen würde“, erläutert Marine.
Preisgekrönte Forschung
Neben diesen wichtigen Ergebnissen für die Kunstwelt hat sich auch die umfangreiche internationale Forschung von Marine ausgezahlt: Im November 2018 erhielt sie den Descartes-Huygens-Preis, eine Auszeichnung, die 1995 von der französischen und niederländischen Regierung ins Leben gerufen wurde, um die französisch-niederländische wissenschaftliche Zusammenarbeit zu stärken. Der Preis wird jedes Jahr an zwei Forscher – einen in Frankreich und einen in den Niederlanden – für ihre herausragende Arbeit und ihren Beitrag zu den bilateralen Beziehungen beider Länder vergeben.
Diese Auszeichnung ermöglicht es Marine, regelmäßig in die Niederlande zu reisen – was gut zum Zeitplan des ESRF passt, da die Anlage dort aufgrund eines Upgrades derzeit vorübergehend abgeschaltet wird. „2019 ist das perfekte Jahr, um Aufenthalte in den Niederlanden zu organisieren und unsere Zusammenarbeit dort zu stärken“, erklärt Marine. Zusätzlich zu ihrer laufenden Forschung über Maltechniken beteiligt sie sich an der Entwicklung und dem Bau eines kleinen, transportablen „Tisch-Synchrotrons“, das derzeit für den Einsatz in den Niederlanden gebaut wird.
Marine engagiert sich auch dafür, Mitglieder der Kunstwelt davon zu überzeugen, was die Synchrotronwissenschaft für sie tun kann. „Mit meinen Mitarbeitern aus Amsterdam und Delft hoffen wir, die niederländischen Akteure des Kulturerbes – Akademiker, Museumswissenschaftler, Kuratoren, Restauratoren, Kunsthistoriker – für die Vorteile der Synchrotronstrahlenstechnik zum Studium von Kunstwerken zu sensibilisieren“, sagt sie. Marine und ihre Kollegen wollen nicht nur die Forschungen über Rembrandt und Plumbonacrit weiterführen, sondern zukünftig auch die materiellen Geheimnisse anderer Meistermaler wie Leonardo da Vinci erforschen.
References
- Cotte M et al. (2006) Blackening of Pompeian cinnabar paintings: X-ray micro-spectroscopy analysis. Analytical Chemistry 78: 7484-7492. doi: 10.1021/ac0612224
- Dik J et al. (2008) Visualization of a lost painting by Vincent van Gogh using synchrotron radiation based X-ray fluorescence elemental mapping. Analytical Chemistry 80: 6436-6442. doi: 10.1021/ac800965g
- Gonzalez V et al. (2019) Unraveling the composition of Rembrandt’s impasto through the identification of unusual plumbonacrite by multimodal X‐ray diffraction analysis. Angewandte Chemie International Edition 58: 5619-5622. doi: 10.1002/anie.201813105
Web References
- w1 – Am ESRF in Grenoble in Frankreich werden die leistungsstärksten Synchrotonquellen in Europa betrieben.
- w2 – Röntgenstrahlen am ESRF helfen die Verdunklung des satten Gelbs der Gemälde von van Gogh zu erklären. Siehe:
- Brown A (2011) Van Goghs verdunkelndes Erbe. Science in School 19.
Resources
- Die Erforschung der Geheimnisse von Rembrandts Impasto sind in einem Artikel auf der Phys.org Webseite verfügbar.
- Die Pressemitteilung zur Verkündung des Descartes-Huygens-Preises 2018 für Marine Cotte kann auf der Webseite der Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen abgerufen werden.