Die Wissenschaft des Humors: Allan Reiss Inspire article
Übersetzt von Julia Heymann. Männer und Frauen reagieren unterschiedlich auf Humor. Allan Reiss erklärt Eleanor Hayes, warum dies etwas Neues ist.
Stellen Sie sich vor, plötzlich alle Kontrolle über Ihre Muskeln zu verlieren und zu Boden zu sacken, wobei Sie bei vollem Bewusstsein, aber vorübergehend bewegungsunfähig sind. Dieses Phänomen nennt sich Kataplexie und kann bei manchen Menschen durch starke Emotionen hervorgerufen werden. Es brachte Allan Reiss 2002 dazu, sich für die Erforschung des Humors zu interessieren.
Allan, Professor für Psychiatrie und Verhaltensforschung an der amerikanischen Stanford University, wollte ursprünglich untersuchen, was im Gehirn bei kataplektischen Anfällen passiert. Er wusste, dass sie durch starke Emotionen wie Wut oder sexuelle Erregung ausgelöst werden können. Er war jedoch überrascht, als er von seinem Kollegen Emmanuel Mignot erfuhr, dass der wichtigste Auslöser der Humor ist.
Bevor Allan und sein Team jedoch untersuchen konnten, wie Komik einen kataplektischen Anfall auslösen kann, brauchten sie eine Nullmessung – sie mussten wissen, wie der Humor Menschen unter normalen Bedingungen beeinflusst. Was passiert im Gehirn, wenn man etwas lustig findet?
Mit Hilfe hoch entwickelter Gehirnaufnahmen ist es möglich, in den Schädel zu schauen und Veränderungen in verschiedenen Teilen des Gehirns zu messen. Die Forscher schickten dazu gesunde Freiwillige in einen funktionellen Magnetresonanztomografen (fMRI) und zeigten ihnen Comics. Während des Gehirnscans notierten die Freiwilligen jedes Mal, ob sie einen Comic lustig fanden oder nicht und gaben ihm danach eine Note von null bis zehn auf einer Komik-Skala.
„Um die nicht witzigen Comics zu erzeugen, nahmen wir lustige und änderten sie so, dass der Witz verdorben war. Ich war fasziniert davon, welch winzige Veränderungen ausreichten – schon die Änderung eines Wortes in der Bildunterschrift konnte den Unterschied machen zwischen einem urkomischen und einem überhaupt nicht lustigen Cartoon.“
Sahen die Freiwilligen einen lustigen Comic, stellten die Wissenschaftler Veränderungen in mehreren Gehirnarealen fest. Besonders Regionen, die an der Sprachverarbeitung und an übergeordneten Prozessen wie etwa der Organisation von Informationen beteiligt sind, wurden aktiviert. Da viele der Comics Bildunterschriften besaßen, war das nicht unerwartet.
Dennoch wollten Allan und seine Kollegen nicht nur wissen, wie das menschliche Gehirn auf Humor reagiert, sondern auch, ob es Unterschiede zwischen der Reaktion von Frauen und Männern gab. Deshalb untersuchten sie sowohl männliche als auch weibliche Freiwillige.
Haben also Frauen und Männer einen unterschiedlichen Sinn für Humor? „Nein, nicht unbedingt. Die Männer und Frauen beurteilten die selbe Anzahl an Cartoons als lustig und sie bewerteten auch den Grad der Komik [0-10] gleich. Als wir uns allerdings die Hirnreaktionen anschauten, ergab sich ein ziemlich unterschiedliches Bild.“
Bei der Betrachtung lustiger Comics zeigten die Frauen eine höhere Aktivität in den Sprach- und Organisationsregionen des Gehirns als die Männer. „Das war keine große Überraschung. Wir wissen, dass die Gehirne von Männern und Frauen verschieden sind und es konnte bereits gezeigt werden, dass Frauen diese Regionen bei bestimmten Anwendungen stärker nutzen als Männer.
„Was allerdings unerwartet war, war ein Unterschied im mesolimbischen Belohnungszentrum des Hirns: die witzigen Comics stimulierten diesen Teil bei den Frauen viel stärker als bei den Männern.“ Das mesolimbische Belohnungszentrum wird mit Glücksgefühlen in Verbindung gebracht, wie z.B. der Betrachtung schöner Gesichter, Kokain-induzierter Euphorie und anderen ,positiven‘ Stimuli. „Die weiblichen Freiwilligen fanden nach eigener Aussage die Comics genauso lustig wie die männlichen, also scheint dieser Unterschied der Hirnaktivität eher mit ihren Erwartungen zu tun zu haben als mit dem tatsächlichen Erlebnis.“
Die Erklärung dafür könnten so genannte dopaminerge Neurone bieten – eine Gruppe von Nervenzellen, die nicht auf die Belohnung an sich ansprechen, sondern auf den Unterschied zwischen der erwarteten und der tatsächlich erhaltenen Belohnung. Vor den Experimenten wurde allen Freiwilligen gesagt, sie bekämen 180 Cartoons gezeigt, von denen nur ein paar lustig sein würden. Scheinbar hatten die männlichen Teilnehmer höhere Erwartungen: sie rechneten damit, belustigt zu werden. Die Frauen dagegen waren vorsichtiger – und so durch die lustigen Comics stärker angenehm überrascht. Die Reaktionen auf die nicht lustigen Comics passten ebenfalls zu dieser Erklärung: diese Comics verursachten eine Deaktivierung im mesolimbischen Belohnungszentrum der Männer (sie bekamen nicht die erwartete Belohnung), während bei den Frauen wenig oder keine Aktivität vorhanden war (sie hatten nicht erwartet, amüsiert zu werden; siehe Graph).
An dieser Stelle kann ich nicht widerstehen, Allan zu fragen, was seine Interpretation dieser Daten ist. Hatten die Männer wirklich höhere Erwartungen? Was, wenn sie bei der Anleitung einfach nicht zugehört hatten? Lachend stimmt er mir zu, dass es mehrere mögliche Erklärungen der gezeigten Unterschiede in der Hirnaktivierung gibt.
Ich frage Allan, was für ihn und seine Kollegen nun die nächsten Schritte sein werden. „Wir würden gerne wissen, wie früh diese geschlechtsspezifischen Unterschiede auftauchen, also werden wir die gleichen Experimente mit kleinen Kindern im Alter von sechs bis zehn Jahren durchführen.“ Zur Vorbereitung dieser Experimente haben Allan und seine Kollegen (mit der Hilfe vieler Kinder) die Online-Videosammlung YouTube nach lustigen Videoclips durchforstet. Die Forscher wollen nicht nur nach Geschlechtsunterschieden suchen, sondern auch nach solchen, die von der Art der Belohnung abhängen – reagiert das Gehirn anders auf lustige Videos (zum Beispiel ein Kind, das versucht mit einem Stock auf einen Ballon zu schlagen aber aus Versehen seinen Vater trifft) als auf andere ,belohnende‘ Videos (etwa viele niedliche Hundewelpen oder ein Kind, das in einem Fußballspiel das Siegestor schießt)? „Es war überraschend schwierig, Videos zu finden, die nicht witzig aber auf eine andere Art trotzdem genauso belohnend waren: bei Kindern rangiert der Humor eben über allem anderen, was wir finden können,“ so Allan.
Ich mache Allan darauf aufmerksam, dass die meisten Leser von Science in School weder Erwachsene noch kleine Kinder unterrichten – unsere Leser lehren in den meisten Fällen für Teenager. Hätte er eine Klasse Fünfzehnjähriger als Untersuchungsobjekt, was würde er gerne herausfinden?
„Die Pubertät ist eine bedeutsame Zeit. Nicht nur der Körper verändert sich – es passieren auch riesige Veränderungen im Gehirn. Und das beeinflusst ebenfalls den Humor: Was ein Zehnjähriger lustig findet, unterscheidet sich stark von dem, was einen Sechzehnjährigen zum Lachen bringt. Es wäre interessant, die Veränderungen auf dieser Entwicklungsstufe des Gehirns zu untersuchen..“
Was würde er also einer Klasse Fünfzehnjähriger empfehlen, die ein Experiment zum Thema Humor in der Schule durchführen möchte?
„Nun, sie könnten genau das untersuchen: welche Art Humor welche Altersstufe anspricht. Sie könnten Schülern jedes Jahrgangs an ihrer Schule eine Auswahl an Cartoons vorlegen und sie fragen, welche sie am Lustigsten finden. Oder jede Klasse nach ihren Lieblingswitzen fragen und diese dann in verschiedene Arten von Humor kategorisieren und herausfinden, ob diese sich mit zunehmendem Alter ändern.“
* * *
Die Wissenschaft bringt einen öfters vom ursprünglichen Thema ab; Allan begann mit der Arbeit an Kataplexie und betrieb letztendlich viel Forschung zum Thema Humor. Nach dem Interview fällt mir noch ein, dass ich ihn gar nicht gefragt habe, ob er die Humorexperimente je an Kataplexiepatienten ausprobiert hat. Eine schnelle Internet-Suche ergibt, dass er genau das gemacht hat, aber diesen Artikel dürfen Sie selber lesen (Reiss et al., 2008).
References
- Reiss AL et al. (2008) Anomalous hypothalamic responses to humor in cataplexy. PLOS One 3(5): e2225. doi: 10.1371/journal.pone.0002225
-
Dieser Artikel ist, wie alle Artikel in PLOS One, kostenlos auf der Webseite des Journals erhältlich: www.plosone.org
-
Resources
- Beim ESOF, dem Eurosciences Open Forum im Juli 2010, beschrieb Allan Reiss einige seiner Forschungsprojekte. Um das Video anzusehen, besuchen Sie die Videokollektion auf der ESOF Webseite (www.esof2010.org/webesof) oder verwenden Sie den direkten Link: http://tinyurl.com/3ynca4s
- Azim E et al. (2005) Sex differences in brain activation elicited by humor. Proceedings of the National Academy of Science of the USA 102(45): 16496-16501. doi: 10.1073/pnas.0408456102
-
Diesen Artikel erhalten Sie kostenlos auf der Webseite des Journals: www.pnas.org
-
- Mobbs D et al. (2003) Humor modulates the mesolimbic reward centers. Neuron 40(5): 1041-1048. doi: 10.1016/S0896-6273(03)00751-7
-
Diesen Artikel erhalten Sie kostenlos auf der Webseite des Journals: www.cell.com/neuron
-
- Schultz W (2002) Getting formal with dopamine and reward. Neuron 36(2): 241-263. doi: 10.1016/S0896-6273(02)00967-4
-
Diesen Artikel erhalten Sie kostenlos auf der Webseite des Journals: www.cell.com/neuron
-
- Schultz W, Tremblay L, Hollerman JR (2000) Reward processing in primate orbitofrontal cortex and basal ganglia. Cerebral Cortex 10: 272-283. doi: 10.1093/cercor/10.3.272
-
Diesen Artikel erhalten Sie kostenlos auf der Webseite des Journals: http://cercor.oxfordjournals.org
-
Review
Reagieren Frauen und Männer unterschiedlich auf Humor? Haben Jungen einen anderen Sinn für Komik oder verstehen Mädchen die Witze besser? Dies könnte ein interessantes Projekt für den Biologieunterricht sein. Dieser Artikel kann Schülern helfen, über mögliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Sachen Humor nachzudenken, sowie darüber, wie man sie untersuchen kann.
Wer hätte gedacht, dass es tatsächlich eine Wissenschaft des Humors gibt?
Andrew Galea, Malta