Ethik in der Forschung Understand article

übersetzt von Angela Michel. Ist es vertretbar, an menschlichen embryonalen Stammzellen zu forschen? Und wie sieht es mit lebenden Tieren aus? Professorin Nadia Rosenthal, Leiterin der Aussenstelle des Europäischen Molekularbiologischen Laboratoriums in Monterotondo, Italien, sprach mit Russ…

Wie kam es zu Ihrem Interesse an der Naturwissenschaft?

Nadia Rosenthal
Mit freundlicher Genehmigung
von Alan Sawyer

Als Teenager dachte ich, aus mir würde eine Künstlerin werden. Meine Eltern waren Musiker und arbeiteten im Theater und so schien das nur natürlich. Doch ich fühlte mich von den Lebenswissenschaften angezogen, ganz besonders nach einem hervorragenden Biologie-Leistungskurs. Unsere Lehrerin hatte ihren Schülern gegenüber eine kompromisslose Einstellung – sie wollte nicht, dass wir wie Kinder behandelt wurden. Stattdessen gestaltete sie den Unterricht so, als wären wir bereits Studenten an der Universität. Unterrichtsgegenstand waren der Intermediärstoffwechsel, phylogenetische Bäume und andere Themen, an denen sie interessiert war.

Mich faszinierte das kristallklare Wissen in der Biochemie. Mein spezielles Interesse galt der Musterbildung – in sich entwickelnden Organismen und über Stämme hinweg – und ich dachte mir, dass es dafür doch eine ebenso kristallklare Erklärung geben müsste, wenn ich nur die richtigen Lehrbücher hätte. So kam ich an die Universität in der Überzeugung, dass ich innerhalb weniger Jahre eine erschöpfende Erklärung für die Musterbildung gefunden haben würde. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass es weitere 25 Jahre dauern könnte und tatsächlich arbeiten wir heute noch daran.

Als mir schließlich klar wurde, dass es viel länger dauern würde, eine Erklärung zu finden, war ich schon so fasziniert von den Naturwissenschaften, dass ich mir keinen anderen Beruf mehr vorstellen konnte. Besonders die Entwicklungsbiologie hatte es mir angetan, nachdem ich einen Artikel über die Ausbildung von Gliedmaßen gelesen hatte. Man schien noch nicht sehr viel darüber zu wissen, aber ich war fasziniert von der Fragestellung – passte sie doch exakt zu meinem Interesse an der Musterbildung.

Some animals are able to regenerate limbs, but mammals aren’t good at that, at least as adults. Why is that?

Dämon
Mit freundlicher Genehmigung
von Nadia Rosenthal

Das wissen wir nicht. Niedere Wirbeltiere können ganze Gliedmaßen, Flossen und Schwänze neu ausbilden, bis hin zum Kiefer und Teilen des Herzens, wenn sie verletzt sind. Im Gegensatz dazu erneuert sich bei uns gerade mal ein Fingernagel. Momentan gehen wir davon aus, dass alle Organismen grundsätzlich die Fähigkeit zur Regeneration besitzen, dass dies aber bei höheren Wirbeltieren durch die Narbenbildung verhindert wird. Wenn ein Finger abgetrennt wurde, muss die Wunde so schnell wie möglich verschlossen werden. Unser Immunsystem setzt eine massive Entzündungsreaktion zur Abwehr von Infektionen in Gang. Dadurch kommt es zur Narbenbildung, die Blutung wird gestoppt und eine Entzündung der Wunde wird verhindert, gleichzeitig blockiert dies aber auch die Neubildung des fehlenden Gliedes.

Im Gegensatz dazu bildet der Salamander eine umfangreiche Gruppe von Zellen, die sogenannten Blasteme, die im Prinzip jedes beliebige Teil einer Extremität ausbilden können. Das Erstaunliche ist, dass die Zellen dort scheinbar wissen, wo sie sich befinden: wird das Bein des Salamanders nahe am Körper abgetrennt, erneuert das Blastem die gesamte Extremität, wird das Bein jedoch am Fußgelenk abgetrennt, werden lediglich der Fuß und die Zehen ersetzt. Verschiedenen Theorien zufolge sind die Gradienten bestimmter Moleküle am proximalen Ende einer Extremität (nahe am Körper) größer als am distalen Ende. Diese Gradienten informieren die Zellen darüber, in welchem Teil der Extremität sie sich befinden. Immer mehr dieser Moleküle werden z.B. bei Molchen und Fischen untersucht und mit Einführung der Hochdurchsatz-Sequenzierung werden wir vielleicht eines Tages in der Lage sein zu verstehen, was in diesen Organismen auf genomischer Ebene anders ist und warum unsere Gliedmaßen nicht nachwachsen.

Dabei sind es nicht nur die Gliedmaßen, die sich erneuern. Durch die Untersuchung von Fischen haben Wissenschaftler auch mehr über die Moleküle herausgefunden, die für die Regeneration des Herzens zuständig sind. Und kürzlich erst stieß man auf Faktoren, die sich auch in Säugetierherzen nachweisen lassen. Werden sie in das kranke Herz einer Maus eingepflanzt, scheinen sie die Wundheilung zu verbessern. Das ist natürlich eine spannende Sache, aber wir stecken noch in den Kinderschuhen – und dies sage ich zu meinem großen Leidwesen, denn ich bin jetzt ungefähr 30 Jahre älter als damals, als ich diese Frage zum ersten Mal beantwortet habe. Und die Antworten, die ich heute geben kann, sind nur eine etwas ausgefeiltere Version der Antworten in dem Artikel, der mich so sehr beeindruckte, dass ich mich überhaupt mit diesem Thema beschäftigte. Es bleibt ein Rätsel.

Um die Regeneration von Gewebe bei Säugetieren zu erforschen, arbeiten Sie mit Stammzellen. Können Sie uns den Zusammenhang erläutern?

Bei den Stammzellen, die an der Regeneration beteiligt sind, handelt es sich natürlich um adulte Stammzellen, d.h. Zellen, die das Gewebe im Körper eines Erwachsenen erneuern, wenn wir verletzt oder krank sind oder wenn wir älter werden. Unser spezielles Interesse gilt den Stammzellen in den Skelettmuskeln der Maus, da diese Zellen hervorragend in der Lage sind, Muskelgewebe zu regenerieren, auch wenn sie keine vollständigen Gliedmaßen ausbilden können.

Im Gegensatz dazu sind die Blastemzellen beim Salamander und anderen niederen Wirbeltieren pluripotent: sie können sich also zu jedem Zelltyp des Gewebes ausbilden. Das Paradoxe ist, dass diese Blastemzellen zumindest teilweise aus der Dedifferenzierung des Skelettmuskels selbst stammen. Dies ist natürlich mit einer drastischeren Reprogrammierung verbunden als wir sie im Stammzellenpool der Mausmuskulatur beobachten können.

Adulte Stammzellen scheinen keinen Nährstoff für ethische Debatten zu liefern, wohingegen das Thema Stammzellen generell eine ganze Reihe ethischer Bedenken verursacht.

Bei einem Teil dieser ethischen Bedenken bezüglich unserer Forschung an adulten Stammzellen geht es um die Reprogrammierung. Diese ermöglicht es embryonalen Stammzellen, praktisch jede Art von Gewebe im Körper auszubilden. Wir versuchen, adulte Stammzellen von Säugetieren so umzuprogrammieren, dass sie sich mehr wie jugendliche pluripotente Zellen verhalten, was ihre Fähigkeit zur Regeneration verschiedenster Gewebearten betrifft. In diesem Zusammenhang konnten wir bisher bescheidene Erfolge erzielen, aber generell ist es so, dass adulte Stammzellen nicht die gleiche Fähigkeit zur Reprogrammierung besitzen wie embryonale – zumindest bei Säugetieren.

Die ultimative embryonale Stammzelle ist natürlich ein befruchtetes Ei, das sich zu einem kompletten Organismus entwickelt und daher den Ursprung aller Gewebearten und Zelltypen im Körper darstellt. Wissenschaftler haben gezeigt, dass im Umfeld eines Eis sogar ein vollständig differenzierter erwachsener Zellkern zu einem pluripotenten Kern umprogrammiert werden kann. Dies bildet die Grundlage für therapeutisches Klonen, wenn der erwachsene Zellkern, der in das Ei implantiert wird, von einem Patienten stammt. Die daraus entstehenden embryonalen Stammzellen können dann an der Erzeugung praktisch aller Gewebearten des neuen „personalisierten“ und umprogrammierten Eis beteiligt werden. Um diesen Prozess besser zu verstehen, verwenden wir embryonale Stammzellen der Maus. Wir entnehmen die Embryos und zerstören sie dann, um Stammzellen zu erhalten. Übertragen auf ein menschliches Szenario würde diese Entnahme von Embryonen und deren anschließende Zerstörung zur Gewinnung von therapeutisch sehr wertvollen Stammzellen Anlass zu ernsthaften Bedenken geben.

Wie dem auch sei, menschliche embryonale Stammzellen sind in ihrer Funktion nicht identisch mit den embryonalen Stammzellen der Maus. Auch die Muster der Genexpression und die Fähigkeit zur Reprogrammierung sind verschieden. Das heißt, dass wir ohne das Studium der menschlichen embryonalen Stammzellen niemals in der Lage sein werden, adulte Stammzellen beim Menschen zu reprogrammieren – was uns wiederum in die Lage versetzen würde, sie in größerem Umfang in der Forschung einzusetzen und damit das heikle Thema humaner embryonaler Stammzellen zu vermeiden. Wir müssen nun mal in den sauren Apfel beißen und entscheiden, wie wir die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen am besten überwachen können. Bezüglich der In-Vitro-Fertilisation (IVF) scheinen wir hingegen keine ethischen Bedenken zu haben, obwohl dies das Opfern zahlreicher menschlicher Embryonen bedeutet, da ja nur wenige der von der Frau entnommenen Embryonen bei IVF jemals implantiert werden. Die übrigen Embryonen werden meist einfach entsorgt. Warum gibt es dann so viel Widerstand dagegen, diese ansonsten nicht verwendeten Zellen der Forschung zur Verfügung zu stellen, die den Menschen zugute kommen könnte?

Sie arbeiten schon seit geraumer Zeit an Tieren, was ja auch ethische Bedenken auslöst. Wie geht es Ihnen dabei?

Ich habe mich dafür entschieden, an Tieren zu forschen, das heißt, ich muss auch mit Tieren arbeiten. Wir haben die Maus aus verschiedenen Gründen gewählt. Die Reproduktionszeit ist sehr kurz und sie gelangen schnell zur sexuellen Reife, so dass wir in kurzer Zeit an mehreren Generationen von Mäusen arbeiten können. Wir haben in den letzten Jahren außerdem gelernt, das Erbgut von Mäusen so zu verändern, dass wir heute in Lage sind, einige der genetischen Fehlsteuerungen zu rekapitulieren, die wir beim Menschen beobachten. Dies zeigt uns, wie Mäuse am besten zu behandeln sind und wie wir neue therapeutische Strategien für die Behandlung derselben Krankheit beim Menschen entwickeln können.

Erste Maus-Chimäre
Mit freundlicher Genehmigung
von Rosenthal

Ich muss allerdings auch zugeben, dass ich eine tiefe Zuneigung für meine Studienobjekte empfinde: ich liebe Mäuse. Ich glaube, je mehr man über einen Organismus weiß, desto besser kann man nachvollziehen, was passiert, wenn man störend in ihn eingreift oder ihn manipuliert.

Aber ein großer Teil meiner Arbeit hat das Leben der Mäuse ja sogar verbessert: ein Schwerpunkt unserer Forschung liegt darauf, unsere Mäuse besser zu machen als normale Mäuse. Sie leben länger und sind kräftiger, ihr Herz kann sich nach einem Herzinfarkt regenerieren. Vom ethischen Standpunkt aus gesehen ist es alles in allem ein bisschen leichter, wenn man die Maus gesünder macht und nicht krank. Trotzdem kann ich nicht verhehlen, dass viele Veränderungen, die wir vornehmen, die Mäuse kränker machen als normale Mäuse. Manchmal müssen wir auch Tiere töten, damit wir ihr Gewebe und die Organe untersuchen können. Natürlich halten und töten wir die Mäuse möglichst schmerzfrei, sie leiden bei uns sicher weniger als die Tiere in jedem Schlachthof, die zu Nahrungszwecken getötet werden.

Gleichwohl wirft dies definitiv eine ethische Frage auf: Können wir es rechtfertigen, Tiere für die Forschung zu verwenden und dann zu töten, wenn wir bedenken, dass die Tiere ohne diese Forschung niemals existieren und niemals in dieser Art und Weise manipuliert würden? Es ist eine sehr komplizierte Angelegenheit und meiner Meinung nach viel schwerer zu beantworten als die embryonale Stammzellfrage, weil embryonale Stammzellen keine menschlichen Wesen sondern Zellen sind. Das Töten der embryonalen Stammzelle einer Maus ruft in mir nicht die gleichen ethischen Bedenken hervor wie es das Töten eines lebenden Tieres, z.B. einer Maus, tut.

Dies ist auch einer der Gründe, warum ich mich bei zahlreichen großen Mausforschungsprojekten in ganz Europa engagiere: damit wir die Tiere so effizient wie möglich nutzen können. Wir tun dies, indem wir bei der Forschung an Mäusen gewisse sanitäre Standards in der Haltung festschreiben und nur eine Version einer bestimmten Mutation herstellen, die wir dann gemeinsam verwenden. Die gewonnen Informationen werden dann allen zugänglich gemacht. Dadurch erhalten wir eine größere Menge an Daten von weniger Tieren, was wiederum die Anzahl der Tiere verringert, die aufgezogen, beobachtet und schließlich getötet werden müssen. So wenige Tiere wie möglich einzusetzen und ihr Leiden zu minimieren ist vielleicht das Ethischste, was wir tun können.
 

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References

  • Nadia Rosenthal war eine von zwei Stammzellforschern, die im Jahre 2006 die Howard Hughes Holiday Lectures on Science für High-School Studenten hielten. Die Vorlesungen sind auf DVD erhältlich und auf der Webseite des Howard Hughes Medical Institute unter www.hhmi.org/lectures auch online verfügbar.

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