Ein Lehrer auf Reisen Inspire article
Übersetzt von Marianne Freiberger. Adrian Dow ist Mathelehrer, obwohl er eigentlich Bankdirektor werden wollte. In diesem Interview mit Marianne Freiberger erzählt er, warum ihm das Lehren so viel Spass macht und was er mit seiner Zukunft vorhat
Als Adrian Dow 1992 seine Heimat Trinidad verließ, um in London Mathe zu studieren, war er fest dazu entschlossen später ins Bankwesen zu gehen. „Bankdirektor stand ganz oben auf meiner Liste. […] Aber als ich dann in den Vorlesungen saß, begann ich, darüber nachzudenken, wie man kniffelige mathematische Probleme am besten erklärt. Im Laufe der Zeit merkte ich auch, dass ich in meinem Beruf gerne anderen Menschen helfen und etwas Positives für die Welt tun würde. Der Gedanke, mit jungen Leuten zu arbeiten, gefiel mir. In meiner Schulzeit konnte ich gut erklären, also entschloss ich mich, es mal als Lehrer zu versuchen.“
Während eines Schulpraktikums wurde aus seinem Interesse geradezu eine Leidenschaft. Die Arbeit mit den Kindern gefiel ihm sehr, jedoch war nicht alles positiv. „Ich sprach viel mit den Schülern über ihren Unterricht. Ihre Unzufriedenheit ließ mich an einigen Lehrmethoden zweifeln. Der Lehrer konnte überhaupt kein Interesse für die Mathematik in den Kindern wecken und deshalb kam ich zu der Überzeugung, dass man andere Methoden anwenden müsste.“
Aber war Adrian denn selber ein mathebegeisterter Schüler gewesen? „Nein, das entwickelte sich eigentlich erst während des Studiums. Da merkte ich, dass die Mathematik nicht nur ein Werkzeug ist, sondern ganz alleine für sich einfach schön sein kann. Und das wollte ich den Kindern zeigen. Wo man auch hinsieht, überall versteckt sich ein bisschen Mathe. In der Musik, in der Philosophie, in der Natur. Ich glaube, das bekommen viele Schüler im Matheunterricht einfach nicht mit.
In seiner ersten Anstellung an einer Londoner Schule begann Adrian, seine Gedanken in die Tat umzusetzen, mit einigem Erfolg. Doch obwohl ihm die Sache Spaß machte, war es nach vier Jahren Zeit für etwas Neues. „Mir machte der Beruf wirklich Spaß, da ging es mir nicht nur ums Geldverdienen. Es gibt so viele Länder in der Welt, die nicht genug Geld für ein gutes Bildungssystem haben. Deshalb entschloss ich mich als Lehrer zum Voluntary Service Overseas (VSO) zu gehen.“
Die große, weite Welt
Der VSO leistet internationale Entwicklungshilfe, indem er qualifizierte Leute in Länder schickt, die ihre Hilfe brauchen. Adrian bekam eine Lehrstelle in einem abgelegenen Dorf namens Bartica in Guyana, Südamerika. Umgeben von unangetasteter Natur war dies ein scharfer Kontrast zum Londoner Trubel, aber das war nicht der einzige Unterschied. „In der Schule war alles völlig anders, als man es in England gewohnt war. Es gab weder genug Kreide, noch genug Tafeln. Durch die Dächer regnete es ins Klassenzimmer und die Schüler mussten zu viert oder fünft auf Zweierbänken sitzen. Aber sie beschwerten sich nicht! Guyana ist kein Sozialstaat, der sich um das Wohlergehen seiner Bürger kümmert, und die Schüler wissen, dass die Schule ihre einzige Möglichkeit ist, sich die Zukunft einigermaßen zu sichern.“
Trotz der positiven Einstellung der Schüler steht die Schule oft im Wettbewerb mit dem Überlebenskampf der armen Familien. „In den höheren Klassen gibt es häufig dreimal so viele Mädchen wie Jungen, weil die Jungen arbeiten müssen. Sie schürfen Gold in den Flüssen. Es ist schnell verdientes Geld, aber die Arbeit ist schwer und gefährlich, überall gibt es Malaria. Wir Lehrer legten den Eltern ständig ans Herz, wie wichtig die Schulbildung ihrer Söhne ist. Es ist sehr schwer, die Gewohnheiten von Generationen zu brechen, aber manchmal hatten wir Erfolg.“
Zwei von Adrians Klassen sollten am Ende seines Aufenthalts in Guyana ihre Abschlussprüfungen ablegen. Zur Vorbereitung bot Adrian zusätzlichen Samstagsunterricht an, zu dem die Schüler freiwillig erscheinen konnten. Und sie erschienen auch. „Am ersten Samstag kamen 75 Schüler! Das ging 62 Samstage lang so weiter. Regen oder Sonnenschein, die Schüler waren da. Das hat mich wirklich motiviert. Manchmal haben wir Cricketspiele nach dem Unterricht organisiert und so wurde die Mathestunde zu einem richtigen Ganztagsereignis.“
Die harte Arbeit machte sich bezahlt: Die Ergebnisse der Matheprüfungen waren in diesem Jahr besser als je zuvor.
Richtungswechsel
Aber was jetzt? Nach seinem Abenteuer in Guyana kam Adrian zurück nach London, wo er eigentlich nur vorübergehend bleiben wollte. Aber der Direktor seiner früheren Schule hatte ein Angebot, das Adrian noch weitere vier Jahre in London festhalten sollte. „Eine neue Initiative, das Behaviour Improvement Programme, sollte gerade an der Schule beginnen. Schwänzen, schlechtes Benehmen und sogar Gewalt machen vielen Schulen große Probleme, damals und heute. Die Regierung investierte etwas Geld um die Lösung dieser Probleme anzugehen.
Als behaviour improvement project manager begann ich mich mit den Problemen vertraut zu machen. Einige Strategien zum Umgang mit problematischen Schülern gab es schon, vor allem durch Gespräch und etwas namens restorative justice. Dabei geht es hauptsächlich darum, problematische Schüler und Lehrer in ein direktes Gespräch zu bringen. Das war sehr erfolgreich. Es bringt etwas Menschliches in verfahrene Situationen, und gibt den Schülern und Lehrern die Möglichkeit, die wahren Schwierigkeiten zu identifizieren, ihr Verhalten zu erklären, oder sich zu entschuldigen.“
Und es waren nicht nur die Schüler, die etwas zu lernen hatten. „Schüler verhalten sich häufig so, wie der Lehrer es ihnen vormacht. Wenn man als Lehrer nur schreit, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Schüler zurückschreien.“
Alles in allem glaubt Adrian, dass das Behaviour Improvement Programme erfolgreich sein wird. „Wir konnten die Probleme natürlich nicht völlig beseitigen, aber was unsere Strategien sehr gut können, ist, zwischen richtigen Problemfällen und Schülern, die nur einen schlechten Tag haben, zu unterscheiden.“
Aber kann in einer Welt, in der viele Schüler schlimme Familien- und Drogenprobleme zu bewältigen haben und in der Jugendkriminalität die Norm ist, die Mathematik den Jugendlichen überhaupt noch etwas Wichtiges beibringen? „Ein Bestandteil der Mathematik ist, immer alles zu hinterfragen. Ich glaube, daraus kann man schon Wichtiges fürs Leben lernen, nicht nur wie man addiert und subtrahiert. Wie viel davon im Unterricht rüberkommt ist eine andere Frage. Ich wünschte, wir hätten im Unterricht mehr Zeit, die Hintergründe der Mathematik zu erklären, und etwas über den Sinn und auch die Schönheit zu sprechen, aber im Augenblick ist das leider nicht möglich.“
Sonne, Sommer und mehr Schule
Jetzt möchte Adrian nach Trinidad zurückkehren, mit dem Ziel irgendwann einmal seine eigene Schule zu eröffnen. „Erstmal muss ich da drüben ins Schulsystem gelangen und gucken, ob der Staat meine Idee unterstützen würde. Und wenn er es nicht tut, dann muss ich mir überlegen, wie man so etwas finanziert, sodass Eltern sich es auch leisten können.“
„Ich hätte gerne eine Schule, in der genug Zeit ist zu forschen und auf die Fragen der Schüler einzugehen, anstatt ständig durch den Lehrplan zu hetzen. Vor allem möchte ich, dass die Schüler ihre Neugierde und ihr Interesse an der Welt bewahren. Ich sage ihnen häufig: “So, das hier ist der Satz des Pythagaros, was wird denn mal dein Satz?“ Am liebsten hätte ich eine Schule, in der die Lehrer nicht überlastet sind und Spaß an ihrem Beruf haben, und in der die Schüler neugierig und aufgeschlossen sind. Das mag sich sehr utopisch anhören und viele Lehrer sagen, so etwas gibt es nicht. Aber ich glaube daran. Man muss es eben versuchen.“